Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Weingut
Ort:
Ellerstadt [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Gräf Architekten 🔗, Kaiserslautern
Materialien:
Beton, Betonfertigteile, Holz, Glas
Publiziert:
Beton Bauteile 2016
Seiten:
92 - 99
Inhalt:
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Weingut Schneider, Ellerstadt

Fertigteile fördern Vollendung

Obwohl das Weingut Schneider erst seit gut 20 Jahren die eigene Traubenernte selbst zu Wein ausbaut, setzen die Eigentümer auf traditionelle Veredelungsstrategien und bauen den Wein in Eichenfässern aus. Gleichzeitig behielten sie aber moderne Architektur und Logistikkonzepte im Auge und legten ein entsprechendes Weinlager an. Deshalb lagert der Wein nicht in der sichtbaren Halle, sondern in dem Keller darunter, der aus ungedämmten Betonhalbfertigteilen besteht.
Zwei dunkelgraue, jeweils etwa 100 m lange, zweigeschossige Baukörper flankieren ein mittig platziertes quadratisches Herrenhaus mit Satteldach, den Wohnsitz der Winzerfamilie. Im Hintergrund zeichnet sich grau im Dunst der Felder ein Höhenzug ab, die Haardt. Sie markiert das westliche Ende des Rheingrabens und den Beginn des Pfälzer Waldes. Dieser Grauton am Horizont inspirierte Graef Architekten aus Kaiserslautern zur Farbe des Gebäudes. Harmonisch sollte es sich einpassen in die weitgestreckten Weingärten der hügeligen Weinberglandschaft und subtil mit der Umgebung verschmelzen.
Keller als Entwurfsthema
Kernstück der neuen, im Juni 2015 fertiggestellten baulichen Expansion ist die große, über 100 m lange, vollständig unterkellerte Lagerhalle auf der Südseite. Sie wurde im Gegensatz zu der bestehenden Halle aus Beton erstellt. Das massive Material verwendete man bewusst, um dessen für den Ausbau von Wein hervorragenden bauphysikalischen Eigenschaften zu nutzen. Während man das Erdgeschoss, wie auch schon den Bürobau, äußerlich mit einem Wärmedämmverbundsystem dämmte, verzichtete man gänzlich auf eine Isolierung des Untergeschosses. Hier lagert der Wein in Holzfässern - manchmal über Jahre – und die massiven Betonwände geben im Sommer die aufgenommene Wärme an das umgebende Erdreich ab; im Winter geschieht das Gegenteil - so bleibt sich die Raumtemperatur annähernd gleich.
Die Konstruktion besteht aus Betonhohlwandelementen, also Halbfertigteilen. Die elementierten Betonbauteile wurden jeweils mit einem Tieflader angeliefert und vom Fahrzeug mit einem Kran direkt an ihre Einbauposition gehoben. Nach ihrem exakten Ausrichten wurden sie mit Ortbeton vergossen.
Die sichtbare Kassettendecke ist die formale Synthese aus drei Überlegungen. Zum einen sind in einem industriell genutzten Hallenraum Rohrleitungen im Deckenbereich unvermeidlich. Gleichzeitig operieren hier aber auch Gabelstapler, die ihre Lasten, wie etwa Gitterboxen, bis zu fünfmal übereinanderstapeln. Beschädigungen frei geführter Leitungen sind quasi alltäglich und die Kassetten bilden deren mechanischen Schutz. Die Kassetten vergrößern jedoch auch die statische Höhe der Geschossdecke und gestatten so auf der Ebene darüber, dem Erdgeschoss, das freie Verfahren höherer Punktlasten, was sowohl die nicht gerade leichten Gabelstapler wie auch das gelagerte Gut meint. Schließlich war es den Architekten wie dem Bauherrn wichtig - wiewohl es sich hier um eine Arbeitsstätte handelt -, diese zwar einerseits robust auszuführen, jedoch auch wertig erscheinen zu lassen. Ausgeführt wurde die Decke in Ortbeton, die Kassettenschalung besteht aus wiederholt verwendeten GFK- Elementen.
Fertigteile für ein fabelhaftes Funktionieren
Neben den industriell organisierten Lagerbereichen für die nicht unbedeutenden Mengen an regulär beim Weingut Schneider zu kaufenden Weinen sowie solchen, die gerade in Eichenholzfässern ausgebaut werden, gibt es in den Kellerbereichen einen separaten kleineren, aber immerhin noch etwa rund 200 m² messenden Raum für ausgesuchte Restkontingente.
Oberflächlich scheint auch dieses in seiner Fläche etwa 4 x 25 m messende und rund 3,00 m hohe Kabinett die gleiche Deckenkonstruktion aufzuweisen wie das übrige Untergeschoss. Allerdings handelt es sich hier um 12 Betonfertigteile, die, hintereinander angeordnet, jeweils quer über den Raum spannen. Auch die umlaufenden Regale wurden in Betonfertigteilbauweise erstellt. In jeder Raumachse formen die Elemente vier übereinander angeordnete, kubische Boxen, die Platz für jeweils 25 Weinflaschen bieten. Eine Deckenachse weist vier solcher Regalfelder auf, letztlich 16 Boxen. Das Regalgitter baut sich auf aus einer Addition gleichmäßiger Betonkreuze, an deren linkem Horizontalschenkel jeweils ein zweiter Vertikalholm sitzt. Die Kopfenden haben zu beiden Seiten solche Holme.
Zudem gibt es ein identisches Sockel- und Kopfelement mit integriertem Rücksprung sowie ein flaches Mittelteil, an dem sich die gesamte Konstruktion horizontal spiegelt.
Der schieren Präsenz des Betons wohnt natürlich eine ungeahnt große Speichermasse inne, wodurch quasi ohne Haustechnik in natürlicher Weise sichergestellt ist, dass sich die klimatischen Verhältnisse des gesamten Volumens über das gesamte Jahr effektiv kaum verändern.
Mit der Verwendung der Fertigteile wurde einerseits das thermische Konzept einer maximalen Klimastabilität erreicht als auch eine beeindruckende, formale Entsprechung für die Bedeutung des Raumes gefunden. Dabei wirkt dieser Raum unglaublich exklusiv und lässt nicht vermuten, dass hier knapp 10.000 Flaschen lagern.
Täuschend echt
Das Weingut entstand in zwei Bauphasen. 2006 errichtete der Winzer Markus Schneider zunächst das erwähnte Wohnhaus sowie, nördlich diesem vorgelagert, die erste der beiden heutigen Hallen. Noch heute befinden sich in ihr die Produktionsanlagen für den Wein. Dieser 2006 bereits realisierte Bau wurde aktuell um einen Kopfbau für die unmittelbare Verkostung ergänzt. Ihm in der Hallenflucht vorgelagert entstand zudem ein pavillonartiger Solitär für die Verwaltung. Für die Betonthematik erwähnenswert an diesem sind die Wandvorsprünge in den Toiletten. Sie weisen eine perfekte Sichtbetonoptik auf, bestehen aber letztlich nur aus Trockenbau. Erreicht wurde dies mit Creativ Sentimento 78, einem Marmorfeinputz auf Kalkbasis des Farbherstellers Brillux.
An den Hallenneubau schließt sich eine freistehende Einheit an, das sogenannte Loft. Es ist ein langgestreckter, über 230 m² großer Verkostungsraum, den eine 20 m lange Holztafel für 54 Gäste dominiert. Ergänzt wird sie durch zwei seitliche, freistehende Herdeinheiten sowie einen dem Saal südlich vorgelagerten Freisitz mit Großgrill. Ein eingestellter, mit einer roten Kunsttapete versehener Quader birgt die unvermeidlichen Nebenräume und komplettiert das Ensemble. Unbedingt zu beachten ist hier der Fußboden in Sichtbetonanmutung. Auch bei ihm handelt es sich um eine perfekte Illusion. Es ist der Mineralico- Spachtelboden, ebenfalls von Brillux, eine selbstnivellierende 2K- Beschichtung. Er wird auf den Boden aufgeschüttet und mit einer Rakel – einer Art Rechen - gleichmäßig verteilt. Nach der Verteilung wird mit einem Flächenspachtel der Boden strukturiert. Am folgenden Tag polierten die Handwerker die Beschichtung mit einem Schleifpad auf und versiegelten diesen sodann zweimal.
Fazit
Es ist schon bemerkenswert, welch gesellschaftlichen Wandel Beton in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Ganz früher war es verpönt, ihn überhaupt zu zeigen, dann wurde Sichtbeton erst avantgardistisch, dann banal. Irgendwann kam der grobe "Rohbau- Rückbau", Beton "brut" genannt in Mode, und nun strebt man sogar an, andere Materialien so aussehen zu lassen, als seien sie Beton. So ganz ohne kann der Baustoff nicht sein!
Robert Mehl, Aachen