Projektart:
Anfrage:
per mail ✉
Objekt:
Denkmal für die Terroropfer von Atocha
Typ:
Gedenkstätte
Ort:
Madrid [Satellit]
Staat:
Spanien
Architekt:
Estudio FAM, Madrid
Materialien:
Glas, ETFE-Kunststofffolie
Publiziert:
DBZ 6/2007
Seiten:
18
Inhalt:
Denkmal für die Terroropfer der Bombenanschläge von Atocha, Madrid/E
Unfassbar und berührend
Tod und Terror besitzen etwas Unfassbares. Bei dem im März eingeweihten Denkmal für die Terroropfer der Bombenanschläge von Atocha wird für die Planer des Projektes, die Architektengruppe FAM, das Unfassbare zum Entwurfsthema. Licht im wortwörtlichen Sinne ebenfalls unfassbar, wird zum Kernelement des Entwurfes. Subtilerweise schaffen sie darüber hinaus auch real ein Objekt, das nicht ohne Weiteres berührt werden kann.
Der gut 11 m hohe, zylinderförmige Körper (10 x 8,5 m) steht seltsam entrückt in der Mitte eines Kreisverkehres. Eine sich schnell und beständig bewegende Blechlawine fungiert als sein Schutzschild. Sie bildet einen gefährlichen Fahrzeugstrom, den kein Fußgänger zu passieren wagt, zumal auch kein Zebrastreifen zu dem Baukörper hinüberführt. Die etwas erhöhte Verkehrinsel wird begrenzt durch einen anthrazitfarbenen Sockel, einem massiven Aufprallschutz aus Beton.
Das Denkmal wirkt wie ein überdimensionales Gefäß, das aufgestellt wurde, um die Strahlen der Sonne aufzufangen. Die kleinteilige Oberfläche aus 15 600 speziell angefertigten, gebogenen, massiven wie transparenten Glasbausteinen scheint mit zunehmender Höhe immer stärker mit dem Himmel zu verschmelzen. Es ist das Zusammenspiel aus reflektierenden Flächen und dunklen Fugen, mit der diese homogene Textur die Silhouette des Rundlings aufbricht.
Der in einer Senke gelegene Kopfbahnhof Atocha, mitten in Madrid, hat nach den Anschlägen einen kompletten Umbau erfahren. Nunmehr betritt man die historische Bahnhofshalle vom Denkmal kommend an der nordöstlichen Längsseite. Bedingt durch die starke Hanglage mündet der neue Haupteingang auf einer breiten Galerie im zweiten Obergeschoss des alten Gussstahlbaus. In der Halle wurden die Gleisanlagen komplett zurückgebaut und stattdessen ein botanischer Garten angelegt. Die Züge halten nunmehr vor Kopf des Gebäudes an offenen Bahnsteigen. Um zu ihnen zu gelangen, muss man eine Sicherheitssperre passieren, wie man sie von Flughäfen kennt.
Das steile Geländerelief erlaubt eine Anbindung der Bahnsteige des Fernbahnhofes an das lokale U- Bahn- Netz ohne einen Ebenenversprung. Die beiden Transportsysteme sind einfach durch eine breite Passage miteinander verbunden, an dem auch der eigentliche Zugang zur Gedenkstätte liegt.
Mit seinen großen schaufensterartigen Glasscheiben präsentiert sich die Gedenkstätte hier recht unprätentiös. Dem Eindruck eines Ladenlokals steht eine tiefblaue Tönung der etwa 25 m breiten Front entgegen. Die Färbung stammt jedoch nicht vom Glas sondern von dem Gedenkraum dahinter, welcher vollkommen monochrom ausgeführt worden ist.
Eine zeitraubende Personenschleuse, die entlang der Glasfront verläuft, erschwert den Zugang: Sie bildet eine notwendige räumliche wie mentale Pufferzone, die zwischen der besinnlichen Stimmung des Ortes und der Hektik des Alltags vermittelt. Man sollte etwas Zeit mitbringen, denn erst wenn die äußere Tür geschlossen wurde, öffnet sich mit ein paar Sekunden Verzögerung die innere Tür und ermöglicht den eigentlichen Zugang. Der quadratische, in seiner Höhe etwas gedrungen wirkende Saal besitzt in seiner Mitte einen runden Deckenausschnitt. Der gläserne Rundling außen ist sein Oberlicht. In das transluzente Volumen wurde eine durchsichtige ETFE- Folie zeltartig eingespannt, die mit schwarzen Lettern spiralförmig bedruckt wurde. Der äußere Saum der Membrankonstruktion wurde von unten nicht einsehbar oberhalb des Deckenausschnittes befestigt. Nach oben verspannte Seile fixieren die sphärische Form des Folienobjektes im Raum.
Zunächst war vorgesehen, auf dieser Freiform die Namen der 191 Opfer aufzubringen, die durch die Anschläge auf die Vorortzüge am 11. März 2004 starben. Letztendlich entschloss man sich aber, diese Namen weniger zentral auf den inneren Scheiben der Eingangsschleuse zu zeigen und bedruckte die Membran mit Zitaten aus den unzähligen Beileidsbekundungen, die in den Tagen nach den Anschlägen vor dem Bahnhof niedergelegt worden waren. Bewusst wollte man so eine neutralere Gedenkstätte für alle Opfer schaffen, die durch einen terroristischen Akt zu Tode kamen; gleichgültig, ob dieser nun durch radikale Islamisten, die baskische ETA oder andere Gruppierungen verübt worden ist. Mit der Wiedergabe der Zitate wird aber auch dem Impuls Rechnung getragen, der ausschlaggebend für die Schaffung des Denkmals war. Denn erst durch das ausufernde Blumen- und Kartenmeer, das seinerzeit vor dem Bahnhof Atocha entstand, wurde das große Bedürfnis der Menschen offenbar, eine dauerhafte Anlaufstelle für ihre Trauer zu erhalten.
Robert Mehl, Aachen
Das Denkmal wirkt wie ein überdimensionales Gefäß, das aufgestellt wurde, um die Strahlen der Sonne aufzufangen. Die kleinteilige Oberfläche aus 15 600 speziell angefertigten, gebogenen, massiven wie transparenten Glasbausteinen scheint mit zunehmender Höhe immer stärker mit dem Himmel zu verschmelzen. Es ist das Zusammenspiel aus reflektierenden Flächen und dunklen Fugen, mit der diese homogene Textur die Silhouette des Rundlings aufbricht.
Der in einer Senke gelegene Kopfbahnhof Atocha, mitten in Madrid, hat nach den Anschlägen einen kompletten Umbau erfahren. Nunmehr betritt man die historische Bahnhofshalle vom Denkmal kommend an der nordöstlichen Längsseite. Bedingt durch die starke Hanglage mündet der neue Haupteingang auf einer breiten Galerie im zweiten Obergeschoss des alten Gussstahlbaus. In der Halle wurden die Gleisanlagen komplett zurückgebaut und stattdessen ein botanischer Garten angelegt. Die Züge halten nunmehr vor Kopf des Gebäudes an offenen Bahnsteigen. Um zu ihnen zu gelangen, muss man eine Sicherheitssperre passieren, wie man sie von Flughäfen kennt.
Das steile Geländerelief erlaubt eine Anbindung der Bahnsteige des Fernbahnhofes an das lokale U- Bahn- Netz ohne einen Ebenenversprung. Die beiden Transportsysteme sind einfach durch eine breite Passage miteinander verbunden, an dem auch der eigentliche Zugang zur Gedenkstätte liegt.
Mit seinen großen schaufensterartigen Glasscheiben präsentiert sich die Gedenkstätte hier recht unprätentiös. Dem Eindruck eines Ladenlokals steht eine tiefblaue Tönung der etwa 25 m breiten Front entgegen. Die Färbung stammt jedoch nicht vom Glas sondern von dem Gedenkraum dahinter, welcher vollkommen monochrom ausgeführt worden ist.
Eine zeitraubende Personenschleuse, die entlang der Glasfront verläuft, erschwert den Zugang: Sie bildet eine notwendige räumliche wie mentale Pufferzone, die zwischen der besinnlichen Stimmung des Ortes und der Hektik des Alltags vermittelt. Man sollte etwas Zeit mitbringen, denn erst wenn die äußere Tür geschlossen wurde, öffnet sich mit ein paar Sekunden Verzögerung die innere Tür und ermöglicht den eigentlichen Zugang. Der quadratische, in seiner Höhe etwas gedrungen wirkende Saal besitzt in seiner Mitte einen runden Deckenausschnitt. Der gläserne Rundling außen ist sein Oberlicht. In das transluzente Volumen wurde eine durchsichtige ETFE- Folie zeltartig eingespannt, die mit schwarzen Lettern spiralförmig bedruckt wurde. Der äußere Saum der Membrankonstruktion wurde von unten nicht einsehbar oberhalb des Deckenausschnittes befestigt. Nach oben verspannte Seile fixieren die sphärische Form des Folienobjektes im Raum.
Zunächst war vorgesehen, auf dieser Freiform die Namen der 191 Opfer aufzubringen, die durch die Anschläge auf die Vorortzüge am 11. März 2004 starben. Letztendlich entschloss man sich aber, diese Namen weniger zentral auf den inneren Scheiben der Eingangsschleuse zu zeigen und bedruckte die Membran mit Zitaten aus den unzähligen Beileidsbekundungen, die in den Tagen nach den Anschlägen vor dem Bahnhof niedergelegt worden waren. Bewusst wollte man so eine neutralere Gedenkstätte für alle Opfer schaffen, die durch einen terroristischen Akt zu Tode kamen; gleichgültig, ob dieser nun durch radikale Islamisten, die baskische ETA oder andere Gruppierungen verübt worden ist. Mit der Wiedergabe der Zitate wird aber auch dem Impuls Rechnung getragen, der ausschlaggebend für die Schaffung des Denkmals war. Denn erst durch das ausufernde Blumen- und Kartenmeer, das seinerzeit vor dem Bahnhof Atocha entstand, wurde das große Bedürfnis der Menschen offenbar, eine dauerhafte Anlaufstelle für ihre Trauer zu erhalten.
Robert Mehl, Aachen