Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Villa Wolf
Typ:
Wohnhaus
Ort:
Gubin [Satellit]
Staat:
Polen
Architekt:
Materialien:
Ziegelsteine, Glas
Publiziert:
baublatt 05/2024
Seiten:
24 - 27
Inhalt:
[Artikel]      
 

Villa Wolf in Guben/Gubin von Mies van der Rohe

Verlorene Landmarke

1927 vollendete Ludwig Mies van der Rohe im heute polnischen Gubin (Deutsch: Guben) sein erstes, im Stil der Moderne entworfenes Gebäude. Etabliert hatte sich der spätere Stararchitekt bereits ab 1907 vornehmlich mit Villen im Stil der Neuen Sachlichkeit. Dem Bau, der im Zweiten Weltkrieg verloren ging, wurde nunmehr eine umfassende Monografie gewidmet.
In Artikeln zu Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) wird der Architekt meist nur einmal ausgeschrieben und im Folgenden nur noch mit "Mies" angesprochen. Dies könnte ein Hinweis auf seinen leutseligen Charakter sein (was allerdings weniger zutraf), oder auf seine übergroße Verehrung. Außer bei ihm kennt man dies noch bei Le Corbusier (1887-1965), der auch als "Corbu" angesprochen wird. Tatsächlich verbindet beide Herren neben ihrer Lebenszeit und ihrem Beruf noch eine dritte Gemeinsamkeit: Ihre Eitelkeit. Beide legten sich mit eintretendem Erfolg Künstlernamen zu: Le Corbusier hieß bürgerlich Charles- Édouard Jeanneret- Gris, Mies van der Rohe wurde als Maria Ludwig Michael Mies in Aachen als Sohn eines Steinmetz geboren.
Mies Anfänge
In Aachen absolvierte Mies zunächst eine Maurerlehre, besuchte die Gewerbeschule und bekam 1901 eine erste Anstellung als Bauzeichner für Stuckornamente. 1904 wechselte er in das örtliche Architekturbüro von Albert Schneiders, wo er am Bau des Warenhaus Tietz am Aachener Markt beteiligt war. Viele Jahre später sollte aus dessen Auftraggebern die hinreichend bekannte "Westdeutsche Kaufhof AG" hervorgehen. 1905 folgte Mies dem Ruf der Großstadt, wechselte nach Berlin und bewarb sich erfolgreich in dem Büro des einflussreichen Hochschullehrers Bruno Paul, dessen Vorlesungen er zudem besuchte. So machte er Bekanntschaft mit Alois Riehl (1844-1924), einem anerkannten Philosophen und Nietzsche- Spezialisten, der hochbetagt im Jahr 1907 den jungen und unstudierten Bauzeichner mit dem Bau seines Eigenheims in Berlin- Babelsberg beauftragte. Dieses erste Haus entstand noch ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit. Es wurde von der Kritik freundlich aufgenommen und bildete den Ausgangspunkt seiner Selbstständigkeit – eine damals opportune Existenzgründung als unstudierter Architekt (vgl. Max & Franz Bruno Frisch Artikel im letzten baublatt).
Hinwendung zur Moderne
Spätestens nach Ende des Ersten Weltkrieges begann Ludwig Mies van der Rohe sich an der öffentlichen Architekturdebatte zu beteiligen. Dies ist der Moment, in dem die lesenswerte Monografie "Mies van der Rohe – Villa Wolf in Gubin, Geschichte und Rekonstruktion", herausgegeben von Friedrich Neumann, Professor für moderne Baugeschichte an der Brown University in Providence/USA, zeitlich einsetzt. So erfährt man darin, dass Mies fasziniert war von den Entwürfen der niederländischen Architektengruppe De Stijl um Theo von Doesburg und J.J.P. Oud. Diese Gruppe wurde damals insbesondere von der Zeitschrift "Der Städtebau" propagiert. Deren Schriftleiter, der Architekturkritiker Heinrich de Fries (1887-1938), merkte rückblickend vertraulich an, dass Mies eben ob seiner De- Stijl- Begeisterung seinen Nachnamen 1924 um "van der Rohe" ergänzte, um damit zur holländischen Architektenschaft gezählt zu werden" (Seite 50). Tatsächlich ist "Rohe" nur der Mädchennamen seiner Mutter Amalie (1843-1928).
Mies van der Rohes (wie er sich jetzt nannte) vehementes Eintreten für die Ziele der De- Stijl- Bewegung brachte ihm den Vorwurf eines "Dualismus" ein. Konkret warf ihm der Kritiker Curt Behrendt vor, dass er etwas anderes propagiere als er am Ende baue, da er weiterhin gefällig den Bauherrenwünschen folge. Hiervon zutiefst gekränkt, stellte Mies Behrendt schriftlich zur Rede, räumte jedoch ein, dass dies eine "Problematik sei, die ihm zu schaffen mache" (Seite 48). Letztendlich war der Zeitpunkt seiner Namensergänzung (1924) auch der Moment seiner erstmaligen Suche nach einem geeigneten Bauherrn zur Realisierung seiner neuen Ideale. Erstmals bot sich im Januar 1925 eine solche Möglichkeit mit einer Anfrage des prominenten Malers Walter Drexler für ein Wohnhaus in Jena. Doch Drexler als Direktor des Jenaer Kunstvereins versetzte Mies unterschwellig in Panik. Mies fürchtete eine zu große öffentliche Aufmerksamkeit seines Stilwechsels. Er verschleppte das Projekt mit vagen Skizzen, bis sich der Bauherr einen anderen Architekten nahm (Seite 55).
Villa Wolf in Gubin
Keine drei Wochen nach Drexlers Anfrage (3.1.1925) erhielt Mies van der Rohe eine ähnliche Anfrage von Erich Wolf, einem vermögenden Textilunternehmer aus – damals noch – Guben (26.1.1925), der angetan war von Mies van der Rohes kurz zuvor noch im Stile der Neuen Sachlichkeit errichteten Villa Kempner in Berlin. Er wünschte sich ein vergleichbares Haus in Guben, einer kleinen Industriestadt an der Neiße (Seite 41). Leider sind die Argumente nicht überliefert, mit denen Mies die Eheleute Wolf, die als Kunstsammler innerhalb der Berliner Kulturszene gut vernetzt waren, zum Stilwechsel überreden konnte.
Mies wird diese Bauanfrage sympathischer gewesen sein, auch weil zu erwarten war, dass sein Projekt im Falle eines Misslingens kaum Aufmerksamkeit finden würde. Darüber hinaus konnte das Grundstück in prominenter Hanglage kaum besser sein.
Innerhalb eines knappen Jahres entwickelte Mies ein weitgehend quer zum Hang stehendes Volumen, das aus drei Baukörpern bestand, dem talseits eine breite Terrasse mit einer Senkgartenfläche vorgelagert war. Gelagert war das Ensemble über neu angelegte, mit massivem Stützmauerwerk abgestuften Geländeterrassen, die mit Weinreben bepflanzt wurden. So erinnerte die fertige Villa Wolf talseitig – nur bezogen auf die Landschaftsplanung – an eine moderne Interpretation von Schloss Sanssouci in Potsdam.
Innovatives Raumkonzept
Nie wieder – auch nicht bei späteren, viel bekannteren Bauten – hat Mies van der Rohe die einzelnen Funktionen so sauber auf Gebäudeteile verteilt und damit – eine Grundforderung der Moderne – die jeweilige Funktion klar ablesbar gemacht: Der Bau gliederte sich in einen viergeschossigen Servicebereich mit den Bedienstetenunterkünften, den zweigeschossigen Wohnbereich der Familie und den eingeschossigen, repräsentativen Teil mit Wohnzimmer, Esszimmer und Herrenzimmer. Deren Raumfolge war in diagonaler Weise offen über die Raumecken geführt. Damit löste Mies diese als solche auf und generierte eine Wohnlandschaft. Große Fensterflächen zur Talseite schufen hier großartige Ausblicke auf das Neißetal. Trennende Türen zwischen diesen Räumen waren keine vorgesehen, diese gab es jedoch zu den angrenzenden Bereichen. Mies hatte zudem – und auch das sollte er wegen des großen Aufwandes nie wieder so durchführen – den verschiedenen Funktionen unterschiedliche Raumhöhen zugeordnet: Der repräsentative Flügel hatte eine Höhe von 3,10 Meter, der Wohnteil eine von 2,80 Meter. Die Küche und das 1. OG des Serviceblocks waren 2,70 Meter hoch, das 2. OG 2,60 Meter und schließlich das oberste Geschoss 2,50 Meter.
Während sich der Bau zur Talseite großzügig öffnete, gab er sich zur Straße hin – obgleich aufgrund einer geschwungenen Vorfahrt kaum einsehbar – eher verschlossen. Die Haustür saß an einer Querwand, ein ausladender Balkon bildete darüber einen komfortablen Windfang. Der Bau war unterkellert, dort fand sich neben den haustechnischen Räumen ein natürlich klimatisierter Weinkeller, ein großer Tresorraum für die Kunstsammlung sowie ein Gewölbekeller als besonderer Speisesaal. Diese Sonderräume waren zusätzlich über eine einläufige Treppe im Herrenzimmer zu erreichen.
Sichtmauerwerk als formale Schwäche
Der gelernte Maurer Mies van der Rohe ließ das Bauwerk in Sichtmauerwerk aus gebrannten Ziegeln ausführen. Wohl verzichtete er auf Rollschichten oberhalb der Fenster und Türen, sah diese aber im Attikabereich des Flachdachbauwerks vor. Für das Sichtmauerwerk legte er detaillierte Werkpläne in Steinformatmaßen an, was heute eine präzise Rekonstruktion erlaubt. Die Ziegelfassade muss Mies aber seinerzeit schnell als großes Manko bewertet haben, da es gegen eine Gebäudepublikation sprach. 1927 war Mies van der Rohe vom Deutschen Werkbund zum Ausstellungsleiter der Weißenhofsiedlung in Stuttgart berufen worden. Er sollte das Entstehen dieser bis heute wegweisenden Mustersiedlung des Neuen Bauens koordinieren. Er selber formulierte seinerzeit die Vorgaben und legte, sich an dem Vorbild von De- Stijl orientierend, weiße Putzbauten fest. Es war eine pragmatische Reaktion auf den großen Zuspruch, den diese Bauweise damals in der Architekturkritik fand. Mit dieser Entscheidung muss ihm bewusst gewesen sein, dass sein frisch vollendetes Werk in Guben aufgrund der nicht mehr opportunen Ziegeloptik faktisch aus der Mode war. Er trug es sicher mit Fassung, schließlich stand es ja in der Provinz und eben nicht in Jena.
Nutzung und Zerstörung
Die eher fensterarmen hangseitigen Außenwandflächen des Gebäudes nutzte Elisabeth Wolf – eine ausgesprochene Gartenfreundin – zum Anpflanzen üppig wachsender Kletterpflanzen. Es ist anzunehmen, dass auch dies dem Architekten nicht so recht war, da dies eine Verunklarung seiner kubischen Baukörper bedeutete. Bemerkenswert ist, dass die Villa Wolf und deren Bewohner von den Nationalsozialisten nicht diffamiert wurden – und das obwohl dieser Neubau fortan die Stadtsilhouette prägte und auf nicht wenigen Postkarten dieser Zeit gut erkennbar ist. Die auch karitativ sehr engagierten Eigentümer müssen sehr einflussreich gewesen sein.
Dies weist auf eine starke emotionale Bindung der Familie an ihren Wohnort hin. Zumal sie erst im Februar 1945, als es aufgrund der Bedrohung durch den Vormarsch der russischen Armee nicht mehr anders ging, beschlossen zu fliehen. Tatsächlich ging das Ehepaar Wolf davon aus, dass diese Flucht nur vorübergehend wäre, weshalb sie alles Wertvolle in ihrem großen Kellertresorraum einschlossen. Ob seiner prominenten Hanglage war der Bau jedoch auch militärisch bedeutsam und wurde bis Kriegsende schwer beschädigt. Nach dem Krieg diente die Ruine als Baumaterial zum Wiederaufbau der Stadt. Der Tresorkeller wurde brachial über die Geschossdecke aufgebrochen und geplündert.
Erforschung und Rekonstruktion
Am ehemaligen Standort der Villa Wolf befindet sich heute ein kleiner Park, vereinzelte Mauerreste weisen noch auf das Bauwerk hin. Für viele Jahrzehnte komplett vergessen, forscht seit einigen Jahren insbesondere der Lehrstuhl für Architektur- und Stadtbaugeschichte von Prof. Annegret Berg der FH Potsdam über das Gebäude. Das hehre Ziel ist seine reale Rekonstruktion, vergleichbar mit Mies berühmtem Barcelona Pavillon. Ein erster Beitrag dazu ist die vorliegende 175-seitige Monografie, die eine Planrekonstruktion mit Grundrissen, Schnitten und Ansichten beinhaltet. 2021 führte die FH Potsdam eine umfassende archäologische Grabung auf dem Gelände durch. Zutage kamen dabei ausgedehnte Bereiche des Kellerfußbodens, diverse Treppenansätze und Reste vom aufgehenden Mauerwerk.
Auch wenn in dem Buch vielfach auf die Erkenntnisse der Grabung verwiesen wird, unterbleibt eine Synthese von Grabung und Rekonstruktion. Tatsächlich beschränkt sich das Planmaterial ausschließlich auf die oberirdischen Gebäudeteile: Einen Kellergrundriss sucht man hier vergeblich. Sicherlich sind entsprechende Aufmaße während der Grabungskampagne erstellt worden. Zu spekulieren, warum diese nicht Eingang ins Werk fanden, ist müßig. Es ist allerdings zu kritisieren, dass dies im Buch nicht offen angesprochen wird!
Positiv hervorzuheben ist hingegen das innovative Buchlayout: Der Schutzumschlag ist ein kunstvoll gefaltetes, beidseitig bedrucktes 77,5 x 46 cm messendes Blatt. Außen ist eine nachkolorierte Ansicht der Villa Wolf zu sehen, innen findet sich hingegen die Planrekonstruktion des Gebäudes in einer Zweitafelproduktion. Diese grafische Idee begeistert!
Robert Mehl, Aachen
Ludwig Mies van der Rohe
Villa Wolf in Gubin
Geschichte und Rekonstruktion
Herausgegeben von Dietrich Neumann
Mit Beiträgen von Ivan Brambilla, Annegret Burg, Florian Mausbach, Therese Mausbach, Dietrich Neumann, Fritz Neumeyer, Lars Scharnholz
210 × 230 mm, 176 Seiten
210 Abbildungen
Hardcover
ISBN 978-3-86922-829-7
EUR 48,00