Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Collège du Mont d'Hor
Typ:
Schule (Sanierung, Erweiterung)
Ort:
St. Thierry / Reims [Satellit]
Staat:
Frankreich
Architekt:
Materialien:
Beton, Zinkverkleidung, Glas
Publiziert:
DBZ 06/2005
Seiten:
46 - 51
Inhalt:
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Das Collège du Mont d'Hor, Saint Thierry/F

Patent gefaltet

Gut 15 Kilometer nordöstlich von Reims beginnt mit dem Mont d`Hor die Hügellandschaft der Champagne. Auf seiner Kuppe liegt Saint Thierry - ein Ort, der aufgrund seines markanten Wasserturmes ein beliebtes Ausflugsziel der Luftwaffe zu sein scheint.
Ein wenig suchen muss man sie schon. Dabei hätte diese sinnfällige Gebäudeecke durchaus einen etwas prominenteren Standort verdient: als Blickfang an der stärker befahrenen Ortsdurchfahrt etwa und nicht am Ende einer Sackgasse, die allein zum Schulzentrum der Gemeinde führt und gleichzeitig die Bebauungsgrenze des Dorfes markiert. So findet sich der faszinierendste Blickwinkel dann auch auf einer nahen Wiese: Man sollte sie Augenweide nennen.
Der Fassadensporn ist Teil einer Erweiterung der alte Oberschule. Der Zweckbau aus Waschbetonfertigteilen war sanierungsbedürftig und zu klein geworden.
Mit dem Begriff "Origami" lässt sich das nunmehr realisierte Entwurfskonzept gut umschreiben. Durch geschicktes Falten der Gebäudehülle wurde versucht, den Charakter des Bauwerkes an das stark differierende Umfeld anzupassen. Einerseits sollte sich die Struktur zum Ort hin repräsentativ geben, andererseits gegenüber der angrenzenden hügeligen Naturlandschaft Zurückhaltung üben.

Das Gebäude

Die Erweiterung umfasst zwei Flügel unterschiedlicher Höhe, die sich in einem 45° Winkel berühren. Zusammen mit der kompakten Grundfläche des Altbaus umgibt das Ensemble den Pausenhof, der sich nach Südwesten hin zur Natur öffnet. Auf der gratartigen Attikakante der streng in Nord- Südrichtung verlaufenden, fast dreigeschossigen Eingangsfassade findet sich der höchste Punkt des Neubaus. Deren Zinkverkleidung wird mitnichten hinter der nördlichen Gebäudeecke weitergeführt. Stattdessen fällt hier die Traufhöhe senkrecht um zwei Geschoßhöhen ab. Von dem eingangs erwähnten Standpunkt aus betrachtet, scheint die repräsentative Eingangsfront nur noch eine Filmkulisse zu sein. Tatsächlich wurde hier mit einer optischen Täuschung gearbeitet: Die geneigte Rückseite des Eingangsflügels läuft als Winkelhalbierende ebenfalls auf diese Ecke zu.
Dieser bemerkenswerte Höhenversprung lässt nunmehr die Dachflächen zum rückwärtigen Gesicht des Neubaus werden, das die Tektonik des angrenzenden Freilandes aufgreift. Dabei erscheint der eingeschossige, nordwestliche Gebäudeteil nur noch als schmaler Fassadenstreifen. Seine tiefliegende Verglasung wird durch mächtige Betonschotte gegliedert. Die sichtbare Senkrechte wird weiter reduziert durch zusätzliches Erdreich, das keilförmig vor dem langgestreckten Gebäudeflügel angeschüttet wurde. Hier ist die Schulkantine untergebracht. Das Einnehmen der Speisen soll in "Augenhöhe mit der Natur" erfolgen.
Der Zugang zur Schule erfolgt über ein vorgelagertes Portal. Seine expressive Deckenplatte schafft auf der Innenseite geschützte Fahrradstellplätze und dient außen als Überdachung der Schulbushaltestelle.
Der Weg vom Schultor zum Gebäude besteht aus großformatigen Betonelementen. Die vielleicht 20 cm starken Fertigteile liegen erhaben auf dem Terrain und berühren einander nicht: Die etwa 2 cm breiten Stoßfugen sind offen. Der Steg verläuft parallel zum Kantinenflügel, trifft spitzwinkelig auf die knapp
75 m breite Eingangsfront und teilt diese im goldenen Schnitt. Die Erschließungsachse läuft durch den Bau hindurch und bildet mit der Rückseite des Speisetraktes die nordwestliche Kante des Pausenhofes.
Rechts von dieser Linie findet sich im Erdgeschoss ein kleiner Veranstaltungssaal und darüber im Obergeschoss das Lehrerzimmer. Es füllt den spitzen Sporn der raffinierten Dachgeometrie vollständig aus. Links der Eingangsachse schließen auf beiden Ebenen die Unterrichtsräume an.
Indem die Planer die Fenster des Obergeschosses direkt über dem Fußboden und unterhalb des Firstes angeordnet haben, wurde bewusst eine nicht vorhandene Dreigeschossigkeit suggeriert. Der repräsentative Charakter der Eingangsfront wurde dadurch zusätzlich betont. Das Format der Fensteröffnungen im Neubau ist einheitlich und entspricht denen des Altbaus. Es wird als verbindendes Zitat betrachtet.
Oberhalb des gläsernen Gebäudesockels wurden sowohl die Lochfassade der Eingangsseite wie auch alle Dachfächen mit einer einheitlichen Zinkdeckung verkleidet. Die Stehfalzkonstruktion ist ein neues Serienprodukt, bei dem die einzelnen Elemente nur noch aufgeschoben und eingerastet werden. Bei allen Dachflächen konnte auf haustechnisch bedingte Perforationen verzichtet werden. Die gesamte Abluft gelangt zentral durch ein Lüftungsgitter oberhalb des Pausenfoyers nach außen. Statt der bisher notwendigen Zwangsentlüftung aller Steigleitungen und Fallrohre wurden neuartige Membranabschlüsse, die unterhalb der Dachhaut enden, verwendet.
Bedeutsam macht dieses unter hohem Kostendruck realisierte Projekt der Umstand, dass überraschende Architektur keine Frage des Geldes sein muss. Der Bau kann auch als Parabel gelesen werden, dass eine fundierte Schulausbildung für mehr steht, als eine glänzende, gesellschaftliche Fassade. Auch wenn man es manchmal nicht glaubt: Dahinter ist Substanz.
Robert Mehl, Aachen