Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Bavariaring 31
Typ:
Wohn- / Geschäftshaus
Ort:
München [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
Betonfertigteile
Publiziert:
Beton Bauteile 2018
Seiten:
54 -59
Inhalt:
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Wohn- und Geschäftsgebäude am Bavariaring, München

Ensembleschutz mit Fertigteilen

In München erhielt ein Wohn- und Geschäftshaus der 1970er Jahre eine neue Fassade aus Faserbetonfertigteilen. Damit integrierten die Architekten den zuvor als Fremdkörper wahrgenommenen Bau in den urbanen Kontext und bewahrten seinen solitären Charakter.
Am Esperantoplatz, einem kleinen Rondell im Münchener Wiesenviertel, liegt traditionell einer der Haupteingänge des Oktoberfestes, das alljährlich Ende September auf der Theresienwiese stattfindet. Der Bavariaring begrenzt hier die „Wiesn“; ein von klassizistischen und gründerzeitlichen Villen geprägtes Quartier schließt sich an, das mit Ausnahme eben dieses Wohn- und Geschäftshauses ensemblegeschützt ist. Das Gebäude mit der Adresse Bavariaring 31 liegt unmittelbar am Esperantoplatz und ist ein Bau der späten 1970er Jahre, ehedem eine postmoderne Stahl-/ Glaskonstruktion von Ackermann Architekten.
Städtebaulich besaß das Gebäude auch zuvor zweifellos Qualität: Das von einem Zeltdach bekrönte Volumen adaptierte den Maßstab und die Kubatur der umgebenden Bebauung. Sein trapezförmiger Grundriss folgt stimmig den Baufluchten des spitz aufeinander zulaufenden Bavariarings und der Kobellstraße. Befremdlich war allein seine stark gerasterte Glasfassade, die das Objekt jahrelang als Bürohaus kenntlich machte.
Hintergrund
Nutzer und Eigentümer des Gebäudes ist der Landesverband Bayerischer Bauinnungen (LBB), eine Organisation des Baugewerbes, die natürlich Interesse daran hat, sich in einem modernen und innovativen Kontext zu zeigen. Das Gebäude war in die Jahre gekommen, viele der Glasscheiben durch Feuchtigkeitseintrag blind und die Wärmedämmung genügte den aktuellen Anforderungen bei weitem nicht mehr. Ein Gutachten ergab, dass es günstiger war, die Fassade komplett auszutauschen als diese instand zu setzen.
Daraufhin lobte der Verband 2012 einen Architektenwettbewerb aus, den das Büro Muck Petzet + Partner mit dem Konzept einer vorgehängten Fassade aus Faserbetonfertigteilen gewann. Das Büro war damals eine gleichberechtigte Partnerschaft bestehend aus Muck Petzet, dem bekannten Kurator der Biennale von Venedig 2012, und Andreas Ferstl, die beide hierüber ihre eigenen Projekte realisierten. Der Bavariaring war ein Projekt Ferstls und mit Ende der Büropartnerschaft führte dieser das Projekt zu Ende.
Nutzung & Sanierung
Der Verband nutzt das Erdgeschoss sowie das erste und zweite Obergeschoss, die drei Folgegeschosse teilen sich in neun Wohnungen auf. Vier davon liegen im 3. OG, die übrigen fünf verteilen sich auf die beiden Ebenen unmittelbar unter dem Zeltdach. Da der Dachausbau erheblich später erfolgte und der Bereich vollkommen intakt war, war dieser von der aktuellen Maßnahme nicht betroffen. Im 3. OG wurde allein die Fassade ausgetauscht, die Wohnungen an sich blieben unangetastet. Dies gestaltete sich so, dass die Möbel einen knappen Meter von der Außenwand abgerückt wurden und man eine temporäre, staubdichte Abtrennung aufstellte. Während der kurzen Umbaumaßnahme blieben manche Bewohner im Gebäude wohnen, wenige quartierten sich aus und einige fuhren kurzerhand in den Urlaub.
Die Räume des Verbandes wurden hingegen neu organisiert. Im Erdgeschoss legte der Architekt einen Tagungs- und Multifunktionsbereich an, den man mittels schwerer, schallschluckender Vorhänge in unabhängige Teilbereiche aufteilen kann. In den beiden Obergeschossen des Verbandes schuf Ferstl eine Abfolge von offenen und geschlossenen Bereichen, die Einzel- und Gruppenarbeit ermöglichen. Von jedem Platz sind Blickbeziehungen nach draußen gegeben, hinein in den hochgewachsenen, alten Baumbestand, der das Gebäude angenehm umgibt. Ebenfalls ausgespart blieb das Treppenhaus im postmodernen Stil, bestehend aus rötlichem Klinker und schwarz lackierten Stahlhandläufen. Es war seinerzeit so massiv und robust ausgeführt worden, dass es absolut intakt war. Auch gefiel Ferstl die Idee einer markanten Reminiszenz an den Bestand, nicht zuletzt um seine Sanierung als Ergänzung kenntlich zu machen.
Fertigteilfassade
Der Architekt favorisierte erst den Plan, alle Fensterrahmen aus umlaufenden Betonfertigteilen zu formen, da ihm dies deutlich plastischer erschien. So wäre eine charakteristische dunkle Fuge auf dem Grat zwischen den einzelnen Rahmenelementen entstanden. Allerdings wären hierfür erheblich mehr Schalungen erforderlich gewesen, die meist nur einmal zu benutzen waren. Deshalb zerlegte er die Fensterrahmen in Stürze, Brüstungen und in seitliche Laibungen. Alle Fertigteile erstrecken sich nun von einer Fensteröffnung zur nächsten, ein scharfer Knick im Fertigteil markiert nunmehr den Übergang von einer Fensterumrahmung zur nächsten.
Selbst für diese geometrisch deutlich einfacheren Betonelemente beliefen sich die Kosten für den entsprechenden Schalungsbau immer noch auf rd. 30.000 Euro. So empfahl es sich dringend, die Bauweise dieser Elemente so weit wie möglich zu vereinfachen. Elf Formen blieben am Ende übrig.
Sehr hilfreich war die Beratung durch den Faserbetonhersteller Rieder CC. Das Unternehmen regte etwa an, mit flexibel einstellbaren Abstellern zu operieren, die eine individuelle Einstellung der jeweiligen Bauteillänge ermöglichten. Darüber hinaus wurden dieselben Formen natürlich links wie rechts eingesetzt und die Rahmen immer wieder neu kombiniert. Alle Brüstungen und Stürze besitzen eine identische Neigung und wurden in derselben Form produziert, dasselbe gilt für die umlaufende Attika. Sonderlösungen erforderten alle Gebäudeecken aufgrund des trapezförmigen Gebäudegrundrisses, wodurch sich keine rechtwinkligen Ecken ergaben. Redundante Passformen, die auch für die anderen Ecken geeignet waren, ergaben sich so nicht.
Betontechnologie & Verankerung
Das zu sanierende Gebäude steht auf einer dazugehörigen Tiefgarage, die im Erdreich weit vor die Fassade ragt. Ein Stapeln der Fassadenelemente auf dem darauf angelegten Fundament war statisch nicht zu realisieren. Die Fassade musste am bestehenden Rohbau, einer Ortbeton- Pfosten- Riegelkonstruktion, geschossweise angehängt werden. Selbst im Fall der untersten Lage, knapp oberhalb des Erdreiches, war dies erforderlich. Daher waren die Betonfertigteile so leicht wie möglich herzustellen. Eine reguläre Betonkonstruktion schied aus Gewichtsgründen aus. Infolge der notwendigen Bewehrungsüberdeckung wären diese nicht dünner als rd. 8 cm zu erstellen gewesen, das Stahlgewicht wäre noch hinzugekommen. Die hierfür produzierten Faserbetonelemente messen jedoch 3 cm - eine enorme Gewichtsersparnis!
Montiert wurden die Fertigteile an am Rohbau befestigten Stahlhalterungen. Die Justierung erfolgte mittels spezieller Excenterschrauben, die eine Amplitude von rd. 1 cm aufwiesen und das Ausgleichen von Bautoleranzen ermöglichen. Problemlos konnten so die Faserbetonelemente exakt ausgerichtet und ein sauberes Fugenbild geschaffen werden.
Preiswürdig & anerkannt
Seit Abschluss der Sanierung erfuhr der Bau große Aufmerksamkeit und Anerkennung. So gelangte er auf die Shortlist des Deutschen Architekturmuseums (DAM) für den Architekturpreis 2017. Zuletzt zeichnete Juni 2017 die Bayerische Architektenkammer das Projekt mit dem „Preis Bauen im Bestand“ in der Kategorie „Nachkriegsbauten“ aus: Zurecht!
Robert Mehl, Aachen