Project:
Contact:
Object:
2014 FIFA World Cup Brazil
Type:
Fußball Weltmeisterschaft
Location:
diverse [satellite]
Country:
Brazil
Architect:
diverse
Materials:
überwiegend Betonfertigteiltribünen
Published:
DBZ-Stadionheft 2014-2
Pages:
4 - 5
Content:
[article]  [4]      
 

Ein Interview mit Stefan Nixdorf

Ein toller Entwurf, der nicht gebaut wird, nutzt mir nichts!

Das Ibbenbürener Architekturbüro agn hat sich auf Stadionbauten spezialisiert. Wir sprachen mit Dr.-Ing. Stefan Nixdorf, einem Mitglied der Geschäftleitung und Partner, über aktuelle Entwicklungen im Stadionbau.
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Herr Nixdorf, wie werden heute Stadien gebaut, wie wurden sie früher gebaut?
Stadien werden immer mehr zu Orten, wo man AUCH Fußball spielen kann:
Ganz früher gab es nur bessere Sportplätze, umgeben von einem Erdwall. Das Bier und die Würstchen gab es davor. Dann setzte der erste mediale Druck ein, das Flutlicht kam, damit die Kameras abends noch ausreichend Licht hatten. Es entstanden überdachte Haupttribünen für die Ehrengäste. Traditionell wird in Europa abends Fußball gespielt, weshalb ein Stadion so ausgerichtet sein sollte, dass die Sonne im Rücken der Ehrengäste untergeht. Daher sind die Stadien vorzugsweise von Nord nach Süd ausgerichtet und die besagte Haupttribüne liegt im Westen. Mit der Zunahme der Bedeutung eines Vereins wuchs der Raumbedarf aller Bereiche und die übrigen drei Seiten wurden mit einbezogen. So verwandelten sich die wichtigen Stadien mit den Jahren zu den markanten Großbauten. Im Zuge der WM 2006 setzte eine dritte Welle beim Stadionbau ein: es gab zunehmend größere V.I.P.-Bereiche mit Clubs und Lounges. Auch der allgemeine Komfort- Druck nahm zu: professionelle, hochwertige Food & Beverage- Kioske wurden eingerichtet. Seitdem ist der Bedarf an leistungsfähigen Großstadien bei uns weitgehend gesättigt und der Investitionsdruck verlagerte sich nach unten auf die Dritte und die Vierte Liga. Hier haben wir es auch mit deutlich kleineren Arenen zu tun. Die übliche Größe liegt hier bei rund 20 000 – 30 000 Zuschauern, oft auch noch deutlich darunter. Bei diesen Projekten stellt sich schnell die Frage nach der finanziellen Machbarkeit. Denn die kleinen Vereine haben viel weniger Geld als die großen Bundesligaclubs, auch fehlt meistens ein vergleichbarer Wille wie anno 2006. Eine Finanzierung kann hier nur dann nachhaltig gesichert sein, wenn sie den jeweiligen Bedürfnissen individuell angepasst ist.
Wie funktioniert so eine Finanzierung generell?
Meistens werden Stadien für einen besonderen Anlass gebaut, eine Meisterschaft oder Olympische Spiele. Generell kann man sagen, dass Sportstätten heutzutage abnorm schnell, zumeist unter einem immensen Zeitdruck realisiert werden. Hier sind sogenannte GU- Verfahren vorteilhaft für den Bauherrn, da mit der Vergabe neben dem architektonischen Entwurf auch ein verbindlicher Preis und eine garantierte Fertigstellung vereinbart werden. Bei reinen Architekturwettbewerben kann es dagegen sein, dass Projekte erst zum Zeitpunkt der Ausschreibungsergebnisse im Baupreis verbindlich und gegebenfalls zu teuer werden. Dann sterben sie eventuell noch in der Planungsphase, wenn sie politisch nicht gewollt sind und nachfinanziert werden können. GU- Verfahren haben dagegen den charmanten Vorteil, dass sie wahr werden. Ich halte viel von einem maximalen Freiraum in der Architektur, aber wenn sie dann am Ende nicht gebaut wird, bleibt sie bloße Theorie. Für bedenklich halte ich auch die Stadien, die nach einem riesigen Event funktionslos bleiben. Man nennt sie „White Elephants“. In Korea oder Südafrika haben wir nach der letzten WM einige davon.
Aber das funktioniert doch so nur bei großen Leuchtturmprojekten. Wie lösen kleinere Vereine die Finanzierungsfrage?
Sie versuchen oft eine Querfinanzierung durch zusätzliche Veranstaltungen. Die weitergehende Nutzung eines Stadions zu planen, ist natürlich nicht die primäre Aufgabe eines Architekten, seine Arbeit sollte dieses aber berücksichtigen. Wir empfehlen daher, dass deren funktionale Organisation so sein sollte, dass die Stadien mit weiteren Veranstaltungen gefüllt werden können. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit heißt insbesondere, dass sie bezahlbar sein müssen. Trotzdem wünschen sich die Vereine natürlich etwas Besonderes, einen USP (Unique Selling Point). So bilden die Kosten und der Termindruck eine verbindliche Klammer, in der etwas Kreatives entstehen soll. Das begreife ich als eine größere Herausforderung als eine völlig freie Hand zu haben. Im angelsächsischen Bereich und auch in den Niederlanden wird überdies ein Stadion mehr und mehr als ein funktionaler Stadtbaustein wahrgenommen und entsprechend urban vereinnahmt. An diesen Orten werden ganze Shopping Malls eingerichtet, aber auch Kinos und gar Bowling- Center. Auch so etwas sind denkbare Optionen. Sie sind vielleicht teurer als auf der „grünen Wiese“, besitzen aber städtebauliche Vorteile, um die Bereiche auch außerhalb des Spielbetriebs zu beleben.
Das Büro agn hat sich unter anderem auf den Stadienbau spezialisiert. Was ist der besondere Reiz und die besondere Herausforderung daran?
Kaum ein Innenraum besitzt so eine starke Ausstrahlungskraft und ist mit so vielen Menschen zusammen erlebbar wie ein Stadion. Tatsächlich ist seine Wirkung vergleichbar mit der einer großen Kathedrale im Mittelalter: Diese Räume beeindrucken die Menschen und begeistern sie spontan. Und diese Begeisterung treibt mich als Architekt an. Stadien gehören mittlerweile zu den Visitenkarten einer Stadt. Mit ihrer schieren Größe und ihrer medialen Bedeutung haben sie eine Stellung eingenommen, mit der sie zur Kenntnis genommen werden müssen und deshalb sehr bewusst städtebaulich geplant werden sollten.
Was ist für Sie eine nachhaltige Planung eines Stadions?
Die Energieeinsparverordnung gilt nur für Bauten, die mehr als eine bestimmte Anzahl von Tagen genutzt und beheizt werden. Reine Fußballstadien, wo nur 18-mal im Jahr ein Spiel stattfindet, fallen mit Ausnahme ihrer beheizten Hauptgebäude nicht darunter. Allerdings ist das gesellschaftliche Signal, das von ihnen ausgeht, sehr bedeutsam. Daher empfiehlt es sich schon, auch über solche Dinge nachzudenken und sie zu berücksichtigen. Eine Multifunktionalität entspringt in der Regel nicht dem Gedanken einer Vorbildfunktion, sondern mehr dem Finanzdruck der die Kosten tragenden Vereine.
Nachhaltiges Planen ist ein ganzheitlicher Denkansatz: Was ist eine sinnvolle Ergänzung zum Stadion? Vielleicht ein Hotel, ein Kongresszentrum, und machen solche Bauten an dieser Stelle für die Stadtentwicklung überhaupt Sinn?
Geht das denn dann überhaupt zusammen: Nachhaltigkeit und Architektur?
Die angelsächsischen Kollegen konzentrieren sich vielfach auf tolle Designs. In Deutschland denkt man hingegen oftmals viel ganzheitlicher. Hier ist man stärker bestrebt, eine Synthese aus Entwurf, Konstruktion, Energie und Technik zu schaffen. Auch wird die Nachhaltigkeit hier viel stärker unter ökologischen, ökonomischen wie auch soziokulturellen Gesichtspunkten geprüft.
Diese Haltung ist für mich die derzeitige Qualität eines „Made in Germany“.
Wir reduzieren unsere Arbeit nicht auf die reine Architektur. Vielmehr versuche ich ein Bindeglied zu sein, das zwischen den wirtschaftlichen Möglichkeiten und den Wünschen eines Fußballvereins vermittelt. Respekt – auch vor anderen Kulturen – ist hier ganz wichtig. Obwohl die europäische Bautradition bewährt ist, geht es darum, deutsche Expertise mit lokalen Lösungen zu verbinden. Vor allem der Architekt steht mit seinem Entwurf nicht automatisch über allen anderen Interessen. Es ist seine Aufgabe, ein baubares Konzept zu entwickeln. Architekten sollten bestrebt sein, ein Maximum an gestalterischer Leistungsfähigkeit herauszuholen, aber eben nicht einen enorm reißerischen Entwurf abzuliefern, der am Ende nicht gebaut wird. In diesem Sinne ist der Architekt auch ein Dirigent, denn er sollte sich nicht über alle Interessen hinwegsetzen, da sonst kein orchestrales Zusammenspiel entsteht.
Robert Mehl, Aachen