Project:
Contact:
Object:
Type:
pilgrimage cathedral
Location:
Neviges [satellite]
Country:
Germany
Architect:
Gottfried Böhm 🔗, Köln
Materials:
massive concrete
Published:
bhw 1-2/2022
Pages:
40 - 44
Content:
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Dachsanierung Mariendom, Neviges

Wasserdichtes Betongebirge

Im Juli 2021 wurde die Dachsanierung des Mariendoms von Neviges nach über fünf Jahren abgeschlossen. Bei den Arbeiten am wohl bekanntesten Gebäude des unlängst verstorbenen Pritzkerpreisträgers Gottfried Böhm wurde mit carbonbewährtem Spritzbeton gearbeitet.
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Neviges gilt als Hauptwerk des am 9. Juni 2021 mit 101 Jahren verstorbenen Gottfried Böhm. Sein ursprünglicher Berufswunsch es war es, Bildhauer zu werden. Der Bau in seiner sägerauen Sichtbetonausführung erscheint mit der jäh aufstrebenden Dachlandschaft, dem vorgesetzten Schwesternwohnheim mit zahllosen gerundeten Erkern tatsächlich wie aus Stein gemeißelt.
Der Nevigeser Dom wird dem Brutalismus zugeordnet – eine besonders monolithische, betonlastige Strömung der späten Moderne. Der sakrale Innenraum unterstreicht den skulpturalen Eindruck des Kirchenbaus, mutet er doch an wie eine expressive Felsgrotte, in die vereinzelte Kleinarchitekturen wie Turmbauten oder Balkonbrüstungen eingestreut sind. In dieser monolithischen Erscheinung lagen dann auch die Krux dieses massiven Betonkörpers: Der Bau war tatsächlich komplett in Ortbeton gegossen worden und zwar ganz ohne Dehnungsfugen. So bestehen die geneigten Dachflächen aus massiven, bis zu 30 cm starken Betonflächen. Der monolithische Bauprozess des Mariendoms führte bereits kurze Zeit nach seiner Vollendung zu zahlreichen Dehnungsrissen, insbesondere in den Dachkanten und -kehlen. In der Mitte der Dachflächen zeigten sich zudem oft horizontal verlaufende Risse an den Betonierabschnitten und es kam zügig zu Undichtigkeiten in den Sakralraum ein.
In den 1980er- Jahren wurde diesem Problem damit begegnet, dass auf allen Dachflächen eine hellgraue Epoxidharz- Beschichtung aufgebracht wurde. Es erwies sich in der Folge ebenfalls als untauglich, da es sich um sprödes Material handelt. Der Kunststoff konnte weiterhin bestehenden Dehnungsbewegungen nicht aufnehmen und riss daher schnell wieder. Die Wasserschäden kamen zurück, dazu verfärbte sich im Laufe der Jahre das Epoxid witterungsbedingt.
Nass- kontra Trockenspritzen
Schon seit geraumer Zeit beschäftigte sich der Ezdiözesanbaumeister Martin Struck mit der Frage, wie man den nach dem Kölner Dom zweitgrößten Kirchenbau des Erzbistums dauerhaft instand setzen könnte. Ein Lösungskonzept bot sich in dem vom Institut für Baustoffforschung (Ibac) der Rheinisch- Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen beforschten Textilbeton. Eine Forschungsgruppe befasst sich unter der Leitung des Institutsleiters Michael Raupach mit dem Einsatz von Carbonfasermatten als Bewehrung von Spritzbeton, der nachträglich auf geschädigte Betonflächen aufgebracht wird. Im Prinzip ist dieses Verfahren vergleichbar mit den derzeit in Magdeburg stattfindenden Sanierungsarbeiten an der dortigen Hyparschale von Ulrich Müther (siehe BHW 1/2020). Der signifikante Unterschied ist, dass in Magdeburg im Nassspritzverfahren, in Neviges dagegen im Trockenspritzverfahren gearbeitet wurde beziehungsweise wird. Während beim Nassspritzen der Beton in einer zentralen Mischstation angemacht und als Flüssigbeton zum Einsatzort gefördert wird, werden beim Trockenspritzen das Wasser und der trockene, pulverförmige Mörtel separat zum Bestimmungsort gebracht und erst beim Austreten an der Düsenspitze miteinander vermischt.
Der große Vorteil des Trockenspritzverfahrens besteht in den erheblich längeren Förderwegen sowie im fast vollständigen Ausbleiben von so genannten «Stoppern», sprich Verstopfungen im Leitungsweg. Wenn überhaupt, treten diese eigentlich nur direkt an der Austrittsdüse auf und können in der Regel schnell behoben werden. Beim Nassspritzverfahren sind die Transportwege des Materials auf 40 - 50 m begrenzt und erfordern für längere Strecken eine Zwischenpumpe. Mit dem Trockenspritzverfahren konnte dagegen die gesamte Dachlandschaft des Nevigeser Doms mit der zentralen Hauptpumpe im Mischzelt beschickt werden. Die Schlauchlängen betrugen dabei bis zu 100 m und überwanden gleichzeitig bis zu 30 Höhenmeter vom Domhof bis zum Domdach. Während der eigentlichen Spritzarbeiten war ein Arbeiter in Vollschutz dazu abgestellt, im Mischzelt die Pumpe stetig mit jeweils 2 kg schweren Säcken zu befüllen. Angesteuert wurde die Maschine jedoch mittels einer Fernbedienung unmittelbar vom Auftragort aus.
Fortschritt durch Technik
Dass ein eingespieltes Team der Schlüssel zum Erfolg einer solchen anspruchsvollen Aufgabe ist, weiß Lenard Domann, Bauleiter bei der Torkret GmbH. Das Unternehmen war mit der Durchführung der Sanierung beauftrag und ist auf Bauwerkssanierungen mit Textilbeton spezialisiert. Für die Sanierungsarbeiten war die insgesamt 2.875 m² große Dachfläche in sechs Bauabschnitte aufgeteilt worden, die alle nach demselben Schema abliefen: Zunächst strahlten die Arbeiter mit dem Sandstrahler die alte Epoxidharzschicht ab und wuschen anschließend mit einem Hochdruckstrahler die Dachflächen ab. Damit traten die Risse deutlich zutage, da mit dem Sandstrahlen die scharfen Risskanten wegbrachen. Die Risse wurden mit einem speziellen Füllspachtel geschlossen und mit einem jeweils 20 cm überlappenden Haftungsstreifen aus Carbon belegt, der mit einem flexiblen Spachtel fixiert wurde. Über diese Rissbandage wurde dann das eigentliche Carbongelege geführt, das nach dem Aushärten des Spritzbetons die dauerhafte Lastverteilung sicherstellte. Konkret bestand der Schichtaufbau aus 8 mm Spritzbeton, der direkt auf den Altbeton- Untergrund oder die Rissbandage aufgebracht wurde. Darauf folgte eine erste Lage der Carbonbewehrung, die mit einem weiteren Spritzbetonauftrag von vielleicht 2 mm in diesen integriert wurde.
Unmittelbar an diese Arbeiten schloss sich der gleichartige Aufbau der zweiten Lage an: Wieder wurden 8 mm Spritzbeton aufgetragen, auf diesen eine zweite Carbonlage gelegt, welche erneut mit einer 2 mm starken Spritzbetonschicht fixiert wurde. Sofort wurde über alles eine abschließende 8 mm starke Schutzlage aufgetragen. So stellten die Arbeiter in einem durchgehenden frisch-in-frisch- Prozess eine insgesamt 28 mm starke Spritzbetonschicht mit zwei darin integrierten Carbonbewehrungen her. Diese ließ man, abgedeckt unter Folien, sieben Tage lang erhärten.
Anschließend wurde die Fläche «gesweept »; das heißt ganz leicht mit Strahlmittel angestrahlt und hinterher mit einem Hochdruckstrahler abgewaschen. Dann erfolgte der Auftrag der 7 mm starken und mit Pigmenten gefärbten Abschlussschicht. Die Gesamtauflage des Spritzbetons betrug im Ganzen 35 mm bei 1 mm Toleranz.
Da die Bewehrungsmatten in einer Lage sich nicht überlappten, sondern stumpf aneinander stießen, war es für die Lastverteilung erforderlich, beide Carbonlagen in ihren Stößen zueinander zu versetzen. Um den erwähnten frisch-in-frisch Arbeitsprozess sicherzustellen, legte man sich täglich, abhängig vom jeweiligen Schwierigkeitsgrad, ein realistisches Pensum fest, das – so schätzt der Polier Frank Wiemhoff – nie größer als 30 m² war. Ein reibungsloser Ablauf dieser zügig zu erfolgenden Arbeiten erforderte eine penible Vorbereitung: So waren die Carbongelege, die standardmäßig im Format 5 x 1,2 m angeliefert wurden, im Vorfeld für den Bedarf zuzuschneiden, testweise aufzuhängen, ihren Einbauort zu kennzeichnen, wieder abzuhängen und an geeigneter Stelle griffbereit zwischenzulagern. Erschwert wurde diese Vorbereitung durch den Umstand der Zweilagigkeit. Lag die erste Lage noch verhältnismäßig nah am Untergrund, schwebte die Zweite fast 2 cm vor diesem in der Luft. Dies machte ein Vorschneiden der Grate und Kehlen besonders anspruchsvoll.
Optimierte Arbeitskraft
Durch eine zunehmende Optimierung der Arbeitsabläufe konnte das Baustellenteam dauerhaft von acht auf sechs Kräfte reduziert werden. Gearbeitet wurde grundsätzlich in zwei Kolonnen, die – um sich nicht zu stören – zwei möglichst weit voneinander entfernte Teilflächen bearbeiteten. Das erste Team bestand aus zwei Kräften, die den Zuschnitt vornahmen, das zweite Team führte die Spritzarbeiten aus. Diese Arbeiten erfolgten mit Atemschutz. Der aufkommende Staub sollte zum einen aus gesundheitlichen Gründen das andere Team nicht behelligen, außerdem waren unnötige Staubablagerungen auf der als nächstes zu spritzenden Teilfläche zu minimieren.
Das Spritzbeton- Team bestand aus vier Personen: Einem Düsenführer – eine Aufgabe, die der Polier Frank Wiemhoff durchgehend selber wahrnahm, zwei Assistenten, die die provisorisch angehefteten Gelege während der Spritzarbeiten kontrollierten und gegebenenfalls zusätzlich andrückten, sowie einem Arbeiter, der im Mischzelt unter Vollschutzmontur den Betonmörtel nachfüllte, der in 25 kg- Säcken von der Firma Sto angeliefert wurde. Ihm oblag auch die bereits erwähnte Pigmentzugabe. Denn während die unteren beiden Spritzbetonschichten aus regulärem "StoCrete TS 100" bestanden, wurde für die 7 mm starke Deckschicht "StoCrete TS 100 v 1" eingesetzt. Dieser Spritzmörtel wurde aus Weissbeton erstellt und war daher besonders gut zu färben. Gottfried Böhm hatte noch persönlich das Mischungsverhältnis festgelegt: Auf zwei Sack Betonmörtel, also auf 50 kg Gesamtmenge, sollten 40 g gelbe Pigmente und acht Gramm Rotpigmente beigemischt werden. Dies ergab eine Tönung der neuen Betonoberfläche, die der Bestandsfarbe am ehesten entsprach und den monolithischen Gesamtcharakter wieder herstellte.
Präzises Arbeiten von Hand
Die oberste, mit Pigmenten versehene Deckschicht wurde nach Abschluss der Spritzarbeiten als Ganzes von Hand mit Reibebrettern abgerieben. Kleine Fehlstellen, die zutage traten, wurden mit Traufel und Zungenkelle beigearbeitet. Tatsächlich ist die Entscheidung, die Dachflächen abzureiben und nicht zu glätten, eine weitere Entscheidung, die von Gottfried Böhm noch persönlich getroffen wurde, da dieses eine größere Annäherung an den Bestand brachte. Der Spritzbeton zieht erstaunlich schnell an, was spürbar während des Abreibens erfolgt. Insofern ist zügig der nächste Arbeitsschritt anzugehen: das horizontale Profilieren der Dachflächen analog zum Vorbild, das eine Brettschalung nachahmen soll. Grundsätzlich beginnt man dazu oben am Firstgrad und arbeitet sich hinab zur Traufe.
Appliziert wurde ein erhabener Streifen, den die Arbeiter erzeugten, indem sie die etwa 4 m lange Richtlatte mit der Waage ins Wasser brachten und oberhalb von ihr mit der Traufel linealartig entlang zogen. Gehalten wurde die Richtlatte von den beiden Assistenten, die sie anschließend um eine Traufelbreite nach unten verschoben, wo sich das ganze Manöver wiederholte. Nun wurden vorsichtig die Putzhaken entfernt und die eingeschalten Randbereiche wieder freigelegt. Sie waren mit Schalbrettern geschützt worden, um seitliche Verschmutzungen zu vermeiden. War es jedoch erforderlich, einen Betonierabschnitt fugenlos an einen zuvor angelegten anzuschließen, musste dieser im Vorfeld auf eine Breite von 20 cm angestrahlt und aufgeraut werden.
Letzter Besuch auf der Baustelle
Die Fertigstellung der Sanierungsarbeiten fiel annähernd mit dem, trotz des hohen Alters überraschenden Tod des Baumeisters Gottfried Böhm zusammen. Von architektonischer Seite wurde das Projekt von seinem Sohn Peter koordiniert. Seit 2015 betreut dieser als Professor an der Universität Trier, das Lehrgebiet Bauen und Gestalten mit massiven Baustoffen (Ziegelstoffe und Beton). Tatsächlich hat Gottfried Böhm noch hundertjährig im Herbst 2020 Neviges einen Baustellenbesuch abgestattet. Samt Rollator gelangte er mit dem regulären Baustellenaufzug auf das Dach und war während der Anlage einer Spritzbetonoberfläche anwesend.
Robert Mehl, Aachen
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