Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Tivoli Stadion
Typ:
Fußballstadion
Ort:
Aachen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
agn Niederberghaus & Partner 🔗, Ibbenbüren
Materialien:
Betonfertigteile, Stahl
Publiziert:
Beton Bauteile 2010
Seiten:
40 - 45
Inhalt:
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Neues Stadion von Alemannia Aachen

Hexenkessel aus Fertigteilen

Die Zielsetzung beim Bau des neuen Tivoli- Stadions von Alemannia Aachen war es, die legendäre Atmosphäre des Vorgängers in den Neubau zu übertragen. Ein Stadion „britischer Prägung“ sollte entstehen.
Gemäß dieser Maxime sollte also eine absolute Nähe von Spielfeld und Zuschauern geschaffen werden. Denn eine entsprechend enge und unmittelbare Bauweise gilt als Garant für eine sehr intensive, dichte Stadionatmosphäre. Die Zuschauer werden zum „zwölften Mann“ auf dem Platz. Herausgekommen ist ein klassisches Einrangstadion für circa 33.000 Zuschauer, das kaum 200 m von dem alten Standort entfernt ist. Es befindet sich zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zum Reitstadion, wo alljährlich die CHIO stattfindet, das als „Wimbledon“ des Pferdesports gilt. Die Anlage wurde nach den modernsten Planungskriterien entworfen. Entstanden ist eine Symbiose aus Komfort, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Der alte Tivoli ist mittlerweile über 80 Jahre alt und gilt als eines der traditionsreichsten und stimmungsvollsten Stadien in Deutschland. Seine letzte grundlegende Modernisierung erfuhr das Geviert zuletzt 1957. Derzeit wird es noch peripher genutzt für die Heimspiele der zweiten Mannschaft sowie für die Jugendarbeit. Ein Handlungsbedarf war insofern gegeben, da das altehrwürdige Rund, in dem immerhin während des Zweiten Weltkrieges die Schätze des Aachener Domes ausgelagert und vergraben waren, nicht mehr den Anforderungen und den Auflagen der deutschen Fußballliga DFL entsprach. Gleichzeitig wollten die Stadt und der Verein diesen Anlass nutzen, um eine Spielstätte zu schaffen, die von der technischen Ausstattung so attraktiv ist, dass auch Länderspiele hier problemlos ausgetragen werden können. Neben dem Stadion ist zudem ein großes, zweigeschossiges Parkhaus und ein Verbindungsbau dazwischen entstanden. Dessen Dach ist ein großer Vorplatz, welcher dem Haupteingang des Stadions vorgelagert ist und dieses auf Obergeschossniveau erschließt. Darunter liegt, von der Öffentlichkeit getrennt, der Wirtschaftshof sowie die Vorfahrt für die Spielerbusse. Spieler und Funktionäre können den Innenbereich somit direkt betreten. Verborgen wird dieser gedeckelte Hof durch eine großzügige Freitreppenanlage, die auch zum Verweilen einlädt. Vorplatz und Aufgänge können auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Etwa für Meisterschaftsfeiern oder für ein „Public Viewing“.
Erschließung
Die meisten Zuschauer, die im Tivoli ein Spiel besuchen, nutzen dessen fußläufige Nähe zur Aachener Innenstadt. Die Zuschauer, die mit ihrem eigenen PKW anreisen, werden über die offizielle nördliche Hauptzufahrt direkt zum Parkhaus geleitet. Die klare Struktur des achteckigen Baukörpers ermöglicht in den Ecken vier gesonderte Eingangsbereiche. Jeweils zwei Zuschauer- Sektoren werden so erschlossen. Wichtig war den Planern, darunter das Architekturbüro agn Niederberghaus aus Ibbenbüren, das intuitive Erkennen vom Stadion, etwa im Fernsehen. Zentraler Aspekt war dabei die Dachfarbe Gelb, die Vereinsfarbe von Alemannia und die für Aachen traditionelle Einrangtribüne. Gleichzeitig sollte auch ein Vertrauen schaffender Effekt bei dem Fan im Stadion erreicht werden, von einer „Landmark from inside“ ist hier die Rede. Auf vier Seiten beginnen die Reihen jeweils im Minimalabstand zum Seitenaus des Spielfeldes. Auf den Spielfeldseiten Nord und Ost sind die klassischen Sitzplatzbereiche durchgehend im 50 x 80 cm- Raster angeordnet. Dabei wurden auch die Sitze in gelb und schwarz ausgewählt. Sie definieren eindeutig den Heimvorteil des Clubs. Hinter dem Tor im Süden steigt eine über alle Reihen sich erstreckende Stehplatztribüne auf. Hier formen die Zuschauer den schon erwähnten „zwölften Mann“ hinter der Mannschaft. Die Gäste der gegnerischen Mannschaft finden ihren Platz dagegen in der Nordwest- Ecke. Auf der Ostseite ergänzt ein aufgeständertes Bauteil als straßenbegleitender Riegel oberhalb der Kiosk- Boxen die Stadionerscheinung mit einer stadtorientierten Nutzung aus Vereins- Kneipe und einem FAN- Shop. Von hier aus kann man über mehrere Stege auch direkt auf die Ränge gelangen.
Haupttribüne
Die Haupttribüne mit dem Bereich für die Ehrengäste befindet sich im Westen. Spiegelsymmetrisch angeordnet, orientiert sie sich an der Mittellinie. Beidseitig dieser Mittelachse liegen die Sitzplätze mit einem komfortablen Stufenmaß von 90 cm Tiefe. Der Zugang der Spieler auf das Grün erfolgt unmittelbar darunter. Rechts und links neben dem Spielertunnel wurden die Trainerbänke angeordnet. Die Haupttribüne hat vier Geschosse. Dazu gehört ein durchgehendes Logenband von 28 separaten Einzel- VIP- Boxen für je elf Personen sowie drei Event- Logen. Auch kann eine dieser Großlogen als Glasstudio genutzt werden. Unter den Logen befindet sich der Sitzbereich für die Ehrengäste. Auf dem Dach des Tribünenbauwerkes ist die Stadionzentrale untergebracht. Von hier aus werden die Geschicke des Spielbetriebs geleitet und überwacht. Das Herzstück der Tribüne ist aber die Mixed- Zone. Hier sind auch die emotional aufgeladenen Aufstellbereiche der Mannschaften vor einem Spiel. Dabei dient ein trennendes „Doppelflur- Konzept“ der Sicherung der internen Sportlerbereiche.
Konstruktion
Das flache Gelände und die Bodenverhältnisse verhinderten ein Absenken der unteren Sitz- und Stehplatzreihen in das Erdreich, so dass sich die Tribünenanlage als Bauwerk über seine vollständige Höhe nach außen abbildet. Die äußere Gestalt der Ränge, die komplett in Betonfertigteilbauweise erstellt worden ist und alle Stützen, Zahnbalken und Tribünenstufen umfasst, orientiert sich konsequent an der nutzungsbedingt getreppten Form. Hergestellt wurden sie von der im Stadionbau sehr erfahrenen Firma Rekers aus Osnabrück, die schon für die Arena auf Schalke die Betonfertigteile geliefert hat. Die bis zu 35 m langen Elemente wurden den größten Teil der Strecke per Bahn angeliefert. Erst im nahen Stolberg wurden die Bauteile auf Tieflader umgeladen und an die Baustelle geliefert.

Das Dach ist eine Kragarm- Stahl- Konstruktion mit etwa 32 m Spannweite und einer 8 m auskragenden Rückverspannung. Jeweils zwei filigrane Zugstangen sichern die Dachfelder in deren Eckpunkten. Die Dach- Eindeckung aus Trapezblechen befindet sich in Untergurtlage und folgt dessen Verlauf. Auf diese Weise setzt sich das Dach als Gestaltungselement aus dem Tribünen- Innenraum nach außen hin fort und markiert deutlich die neue Heimat des Fußballvereines. Um die Zuschauerplätze mit mehr Tageslicht zu versorgen, wurde zusätzlich mit einer bruchsicheren Verglasung eine optische Fuge zwischen dem Dach und den Rängen geschaffen. Gleichzeitig wurde so auch eine Sichtbeziehung nach außen zur Stadt herstellt. Unter den schräg ansteigenden Tribünen wurde ein freistehender Ring aus Kiosken errichtet. Diese Gebäude wurden in einer Stahl- Leichtbau- Konstruktionen erstellt und weisen eine Blecheinhausung in Schwarz auf, der zweiten Farbe der Vereins. Hiervon hebt sich das Tribünen- Tragwerk aus Fertigteilen deutlich ab. Die Konstruktion erscheint dadurch sehr leicht. Die Fertigteil- Zugangstreppen selbst sind wichtige Gestaltungselemente des unteren Zuschauerumlaufes. Sie geben diesem Bereich einen Rhythmus alternierend zu den Versorgungsständen. Sie erleichtern zudem die Orientierung im Stadion: eine Treppe, ein Kartenblock.
Fazit
Seit der Spielzeit 2009/2010 werden die Heimspiele von Alemannia Aachen nun im neuen Stadion ausgetragen. Tatsächlich ist der neue Tivoli durchweg euphorisch von den Fans angenommen worden. Es gilt schon jetzt - ganz im Sinne der Planer - als „eng, steil und laut“. Kurzum: es handelt es sich um die perfekte Schaffung von „80 Reihen purer Emotion“.
Robert Mehl, Aachen