Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Eissport- und Mehrzweckhalle
Ort:
Zürich [Satellit]
Staat:
Schweiz
Architekt:
Materialien:
Ortbeton, keine Betonfertigteile!
Publiziert:
baublatt 17/2023
Seiten:
22 - 26
Inhalt:
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Swiss Life Arena, Zürich

"Gefaltete" Sichtbetonfassade

Zürich hat mit der Swiss Life Arena sein zweites Eisstadion erhalten. Aufmerksamkeit im Strassenbild erregt der fast 34 Meter hohe Bau vor allem mit seiner Sichtbetonfassade, die mit ihrer welligen Form bewusst an einen Vorhang erinnert.
Die Zürcher Niederlassung des Londoner Architekturbüros Caruso St John liegt im industriell geprägten Binz- Areal im Stadtteil Wiedikon. Dort gab uns der Büroleiter Michael Schneider ein Interview zur Fassadenkonstruktion der Swiss Life Arena, welche von dem Büro entworfen, wie auch realisiert wurde und im vergangenen Jahr in Nutzung ging. Das quaderförmige, 180 x 120 Meter in der Fläche messende und fast 34 Meter hohe Volumen ist neben dem Hallenstadion (HaSta), das zweite grosse Eisstadion der Stadt.
Es ist die neue Home- Base des ZSC Lions, dem mitgliederstärksten Eishockey- Club der Schweiz. Denn dieser Verein unterhält neben der bekannten A- Mannschaft der eidgenössischen Eishockey- Liga noch zahllose Amateur- Mannschaften in allen Ligen sowie für beide Geschlechter. Die bisherige Spielstätte das HaSta war mit den ganzen, dort ebenfalls durchgeführten Grosskonzerten an seine Kapazitätsgrenzen geraten und bot zu wenig Eiszeiten für das Training aller Sportmannschaften.
Der Verein überzeugte die Stadt Zürich von dem Bedarf eines weiteren Eisstadions. Dabei ging es allerdings weniger um eine anteilige finanzielle Unterstützung bei den Baukosten (die im Zusammenhang der Förderung des Breitensports wohl auch geleistet wurde), als um die Verpachtung eines geeigneten Grundstücks. Ausgewählt wurde eine etwas über zwei Hektar grosse Teilfläche des Familiengartenvereins Albstetten- Albisrieden, die sich im kommunalen Eigentum befindet. Der Baugrund umfasst etwa ein Drittel der ursprünglichen Schrebergartenkolonie und liegt zwischen der breiten, zum Hauptbahnhof führenden Gleisschneise und der Zubringerautobahn zur A1.
Quer gestellt
Das Besondere an dem Stadion ist, dass die Spielfläche nicht – wie üblich – längs seiner äusseren Silhouette, sondern quer dazu platziert wurde. So entstanden an den Kopfenden des Gesamtvolumens zwei nicht ganz so hohe Gebäudeteile, von denen der südwestliche von einer grossen Zuschauerdachterrasse bekrönt wird. Dieser Aussenbereich ist in den Spielpausen für alle Zuschauer frei zugänglich, wobei die Ticketing- Zone nicht verlassen werden muss. Dazu sind die Wege dorthin ausgesprochen kurz, da die Aussenterrasse auf der Hauptzugangsebene zu den Rängen liegt. Laut Michael Schneider war dieser Kunstgriff der entscheidende Punkt, warum Caruso St. John 2011 den Wettbewerb gewonnen hat.
Vorhangfassade – wortwörtlich genommen
Eine weitere Besonderheit ist die Sichtbetonfassade. Sie ist inspiriert an dem Faltenwurf barocker oder klassizistischer Festzelte. Schneider nennt das Stichwort "Theater of Dreams", eigentlich der Spitzname des Fussballstadions "Old Trafford", der Heimspielstätte von Manchester United. Tatsächlich wollten die Architekten mit diesem versteinerten Faltenschwung den illusionären Charakter einer solchen Sportstätte betonen, einem Ort, der mit vielen Wünschen und Hoffnungen eng verbunden ist.
Gleichzeitig suchten sie nach einem formellen Gestaltungselement für die Fassade. Denn diese sollte bei einem Eisstadion aus thermischen und Nutzungsgründen möglichst geschlossen sein. Nur an den beiden Stirnseiten sahen die Planer Fenster in Form runder, festverglaster Bullaugen vor, deren Öffnungen einen Durchmesser von 184 Zentimeter haben. Sie belichten die Verwaltungseinheiten und das grosse Restaurant – also Räumlichkeiten mit Tageslichtbedarf.
Auf den ersten Blick scheint die Fassade aus Betonfertigteilen zu bestehen. Das war auch zunächst so vorgesehen, was sich aber als zu teuer in der Ausführung erwies. Da die Architekten jedoch alternative Materialangebote durch die Baufirmen vermeiden und an einer Betonkonstruktion festhalten wollten, liessen sie eine Studie erstellen, ob ihr Aussenhautentwurf auch in Ortbeton zu realisieren wäre – und ob das günstiger sei. Die Untersuchung ergab, dass eine Ortbetonkonstruktion tatsächlich etwa 1 Mio. CHF geringer zu veranschlagen wäre, weshalb es so ausgeschrieben und schliesslich ausgeführt wurde.
Nach aussen gestülpt
Mit der Ortbetonbauweise der Fassade wurde auch die gesamte Tragkonstruktion umgekehrt: Nunmehr gab es nicht mehr eine Unterkonstruktion, die alle Lasten aufnahm. Vielmehr war die Sichtbetonwand nicht nur selbsttragend, sie nimmt auch alle vertikalen Gebäudelasten auf. Anlass war eine bauliche Besonderheit bei Eisstadien: Drinnen ist es kälter als draussen, weshalb eine Innendämmung sinnvoller ist, als eine aussen angebrachte Dämmung.
Tatsächlich suggeriert die fertige Fassade eine Fertigteilkonstruktion. Michael Schneider räumt jedoch ein, dass diese Anmutung eher unbeabsichtigt ist. Sie resultiert aus den Stössen der Schalungsmatrizen. Diese hatte man jeweils nur geschosshoch und immer eine Gebäudeachse breit angelegt. Auf diese Weise liessen sich unvermeidliche Dehnungsfugen (in Längsrichtung) und Betonierabschnitte (in vertikaler Richtung) elegant kaschieren. Mit den Schalungsmatrizen wurde insbesondere an den bullaugenbesetzten Stirnseiten gearbeitet, weil die Planer nach einer formal befriedigenden Lösung suchten, um die formal "harten" Fensteröffnungen mit etwas stofflich "weichem" stimmig zu verbinden kann und sich so die gewünschte Vorhang- Allegorie ergibt.
Ortbeton auf der Flucht
Eine besondere Herausforderung stellten auch die Sichtbetonflächen an den Längsseiten des Stadions da. Diese sitzen auf einer durchlaufenden Betonsäulenflucht, die formal den Charakter eines Gebäudesockels hat. Auf diese zur ihrer Schaftmitte hin expressiv dicker werdende Säulenschar eine Ortbetonkonstruktion sauber aufzusetzen, ohne dass bei der Betonage unten flüssiger Beton aus der Schalung herausläuft, kann als grosse Betonbauerkunst angesprochen werden!
Konstruktiv trägt der Faltenwurf im Beton nur sechs Zentimeter auf. Die statisch wirksame Wandstärke schliesst sich daran an und beträgt weitere 25 Zentimeter. Die Gesamtwandstärke misst somit an den dicksten Stellen 31 Zentimeter. Ganz ohne Betonfertigteile kommt allerdings auch diese Fassade nicht aus: Michael Schneider weist darauf hin, dass die oberen Wandabschlüsse als solche ausgeführt wurden.
Keine Konkurrenz
Die neue Eissporthalle ersetzt – wie erwähnt – nicht das alte HaSta!
Vielmehr hat die Stadt Zürich in dem Grundstückspachtvertrag dem ZSC Lions untersagt, grössere Kulturevents wie etwa Grosskonzerte darin zu veranstalten, obwohl das vom technischen Gebäudeausbau durchaus möglich wäre. Zulässig sind allerdings beliebige Sportevents und auch besucherstarke Kongresse. So ist derzeit in der Planung, eine grosses Hallentennisturnier mit Spielern von Weltrang hier auszurichten. Die Kartennachfrage dafür dürfte mit einem Konzert einer namhaften Rockband durchaus vergleichbar sein.
Robert Mehl, Aachen
https://www.baublatt.ch/bauprojekte/swiss-life-arena-in-zuerich-altstetten-der-zsc-loewenkaefig-wird-eroeffnet-33404