Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Itaípava-Arena Fonte Nova
Typ:
Fußballstadion
Ort:
Salvador de Bahia [Satellit]
Staat:
Brasilien
Architekt:
Schulitz + Partner 🔗, Braunschweig
Materialien:
Beton, PTFE-Folie
Publiziert:
DBZ-Stadionheft 2014
Seiten:
36 - 41
Inhalt:
[Artikel]      
 

Itaípava- Arena Fonte Nova in Salvador de Bahia

Stadion in Hufeisenform

 
Es ist das markanteste Kennzeichen des schon 2012 fertig gestellten neuen Stadions von Salvador de Bahia seine Hufeisenform. Seine nach Süden orientierte Schmalseite ist fensterartig geöffnet und gibt den Blick frei auf den nahen Tororó- See. Der urbane Außenbezug dient gleichzeitig der Belüftung der Spielstätte, insbesondere in den heißen, tropischen Sommern dieser 500 000 Einwohner zählenden brasilianischen Metropole. Wenn die Wärme der vor Begeisterung erhitzten 50 000 Fans aufsteigt, zieht sie kaminartig kühle Luft vom See nach. War diese Bauform in Europa während der Antike Standard – man denke etwa an den Circus Maximus in Rom oder an die griechischen Theater – so ist sie heute in unseren Breiten weitgehend unbekannt. Im tropisch-heißen Brasilien trifft man sie dagegen häufiger an. So war etwa der bis 2007 an gleicher Stelle stehende Vorgängerbau ebenfalls als Hufeisen, das genauso zum See wies, angelegt. Das neue Stadion von Salvador wurde noch vor dem offiziellen Zuschlag der FIFA für Brasilien projektiert. Anlass war weniger die Aussicht als WM- Spielort zu fungieren als ein tragisches Unglück: damals war in der alten und wohl schon baufälligen Arena während eines Spiels eine Tribüne eingestürzt. Es gab mehrere Tote. Dieses Unglück war letztlich zum Vorteil der Architekten, denn damals lobte der Bauherr Fonte Nova Negócios e Participações einfach nur einen internationalen Architekturwettbewerb und kein Investorenverfahren aus. Es sollte der einzige Wettbewerb der gesamten FIFA- Fußball- Weltmeisterschaft in Brasilien bleiben. Bei dem Wettbewerb gab es keinerlei Vorgaben, auch darauf anzuwendende Bauvorschriften gab es zum damaligen Zeitpunkt in Brasilien noch keine. Die Architekten orientierten sich zunächst an den deutschen Vorschriften, mussten dann aber auf die englischen Vorgaben umplanen, als diese für die dortigen WM- Spielstätten verpflichtend wurden. Das Team um Claas Schulitz konnte die Preis- Jury mit dem Konzept überzeugen, grundsätzlich die alte Hufeisenform zu wahren und die Tribünen mit einer leichten Membrankonstruktion zu überdecken.
Seilverspannte Membrandächer waren davor in Brasilien weitgehend unbekannt und die Bauherren standen dem Konzept zunächst sehr skeptisch gegenüber. Tatsächlich tendierten die Auftraggeber zunächst zu einem klassischen Kragdach, und erst nach langer Überzeugungsarbeit gelang es Claas Schulitz sie zu dem nun realisierten Dachentwurf zu bewegen. Das materialminimierte Dach, das stützenfrei über den drei Zuschauerrängen schwebt, gewährt von allen Plätzen eine optimale Sicht auf das Spielfeld. Die filigrane Tragkonstruktion aus Stahl ist nach dem Prinzip eines Speichenrades aufgebaut und entstand in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Statikbüro RFR. Kritisch sah der Generalunternehmer auch die eigentliche Dachmontage, die schließlich planmäßig in nur einem Arbeitsschritt, dem so genannten „Big Lift“, erfolgt ist. Als besonders bedenklich wurde erachtet, dass der gesamte Stadioninnenausbau erst danach erfolgen konnte. Das Hochziehen des Daches fand im Herbst 2012 unter Zuhilfenahme zahlloser Kräne und Seilwinden statt. Gerne vergleicht Claas Schulitz den Big Lift mit dem Aufrichten eines Buddelschiffes in einer Flasche. Anschließend spannten alpine Gebirgskletterer in luftiger Höhe die PTFE- Planen über das leichte Stahltragwerk, wobei das Gesamtgewicht des Daches nur bei 45 kg/m² liegt. Sogar der äußere Druckring – statisch vergleichbar mit einer Fahrradfelge – wurde am Ende auch in Stahl ausgeführt, obwohl er zunächst in Beton konzipiert war, ein Detail, das die Leichtigkeit der Konstruktion noch einmal erhöht.
Neben dem Belüftungsaspekt bietet das große Stadionfenster mehr Möglichkeiten hinsichtlich einer multifunktionalen Nutzung der Arena: Es ist die perfekte Bühne für große Stadionkonzerte. Dabei stören die dort erfolgenden Auf- und Abbauarbeiten für die großen Showevents den laufenden Spielbetrieb nicht im Geringsten, was die erforderlichen Umrüstzeiten dramatisch verkürzt. Letztlich muss nur der Rasen abdeckt und wieder freigelegt werden, was sich jeweils an einem Arbeitstag problemlos bewältigen lässt. Damit können große Open- Air- Konzerte selbst mitten in einer Spielzeit stattfinden. An der Zäsur zwischen dem zweiten und dem dritten Rang haben die Architekten in die Arena einen schlanken Skywalk eingefügt. Dezent teilt dieser das Panorama wie ein horizontales Fensterprofil und verkürzt den südlichen Weg von der Ost- auf die Westtribüne. Auf der Brücke befindet sich zudem das große, ganzjährig geöffnete Stadionrestaurant. Nimmt man hier Platz, scheint man förmlich über den Dingen zu schweben: auf der einen Seite das Spielfeld, auf der anderen der See.
Angesichts der hohen Aufenthaltsqualität des nahe dem Stadtzentrum gelegenen Stadions wurde dieses schon lange vor der WM von den Bewohnern begeistert angenommen. Die Architekten verweisen stolz auf die große Anzahl von Events, die nichts mit Fußball zu tun haben.
Robert Mehl, Aachen