Projektart:
Anfrage:
per mail ✉
Objekt:
Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG)
Typ:
Parlamentsgebäude
Ort:
Eupen [Satellit]
Staat:
Belgien
Architekt:
Atelier Kempe Thill 🔗, Rotterdam
Materialien:
Publiziert:
bhw 06/2018
Seiten:
16 - 20
Inhalt:
Parlament der DG in Eupen
In Parkett gepackt
In Eupen sitzt das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) von Belgien. Ihr Parlament befindet sich in einem ehemaligen Lungensanatorium, das umfassend saniert und um einen halb eingegrabenen Parlamentssaal mit einer bemerkenswerten Holzvertäfelung erweitert wurde.
Beim Eupener Regierungssitz der Deutschsprachigen Gemeinschaft von Belgien galt es zunächst die dreidimensional relativ stark durchwirkte Altbaufassade des früheren Lungensanatoriums mit einem 12 cm dicken WDVS energetisch zu ertüchtigen. Die Architekten vom Rotterdamer Atelier Kempe Thill entschieden sich dabei für eine leichte Verfremdung der Silhouette und entwickelte ein Fensterlaibungsdetail, das die Glasebene annähernd bündig zur Vorderkante des WDVS brachte. Ein vorstehendes Profil vermittelt zur Rohbauwand und fungiert gleichzeitig als Putzschiene. Dieses Detail übernahmen die Planer zudem in leicht modifizierter Form bei den Dachgauben. Die Fenster selber sind Standardware. Bei den vorkragenden Balkonkonsolen prüften sie deren Aufdopplung mit einem WDVS, beließen es aber bei einem „Aussparen“ derselben im Dämmmaterial und der damit einhergehenden „Verkleinerung“ von ehemals drei auf zwei Vorsprünge.
Experimentelle Technik - überführt nach heute
Eine Voruntersuchung ergab, dass die Geschossdecken aus bewehrten Betonunterzügen bestanden, die rechteckige Felder aussparten, welche mit keramischen Hohlelementen ausgefüllt waren. Diese mussten einst flach in eine Schalung gestellt und dann mit wenig Beton vergossen worden sein. Wenige Bewehrungsstäbe hielten die "horizontale Ausfachung" in den Unterzügen. Erschwerend kam bei dieser brandschutztechnisch, akustisch und statisch hoch bedenklichen Konstruktion hinzu, dass die unmittelbar darauf aufgebrachten ursprünglichen Terrazzofußböden durch die Denkmalpflege als erhaltenswert eingestuft wurden. Nach geltenden Vorschriften hätte alles abgerissen und neu angelegt werden müssen. In diesem Fall erfuhr André Kempe, dass eine dezidierte Einzelfallprüfung und individuelle Sanierung tatsächlich günstiger sein kann als ein Neubau.
Man legte sich auf drei Optionen fest:
- Komplettabriss des Deckenfeldes und dessen Neubau in Stahlbeton - dies geschah selten
- Ertüchtigung des alten Deckenfeldes mit zusätzlichen Bewehrungsstäben, um die geforderten Verkehrslasten zu erreichen - dies geschah sehr häufig
- Belassen wie es ist, da dies für die neue Nutzung akzeptabel ist - das gab es auch!
Eine Voruntersuchung ergab, dass die Geschossdecken aus bewehrten Betonunterzügen bestanden, die rechteckige Felder aussparten, welche mit keramischen Hohlelementen ausgefüllt waren. Diese mussten einst flach in eine Schalung gestellt und dann mit wenig Beton vergossen worden sein. Wenige Bewehrungsstäbe hielten die "horizontale Ausfachung" in den Unterzügen. Erschwerend kam bei dieser brandschutztechnisch, akustisch und statisch hoch bedenklichen Konstruktion hinzu, dass die unmittelbar darauf aufgebrachten ursprünglichen Terrazzofußböden durch die Denkmalpflege als erhaltenswert eingestuft wurden. Nach geltenden Vorschriften hätte alles abgerissen und neu angelegt werden müssen. In diesem Fall erfuhr André Kempe, dass eine dezidierte Einzelfallprüfung und individuelle Sanierung tatsächlich günstiger sein kann als ein Neubau.
Man legte sich auf drei Optionen fest:
- Komplettabriss des Deckenfeldes und dessen Neubau in Stahlbeton - dies geschah selten
- Ertüchtigung des alten Deckenfeldes mit zusätzlichen Bewehrungsstäben, um die geforderten Verkehrslasten zu erreichen - dies geschah sehr häufig
- Belassen wie es ist, da dies für die neue Nutzung akzeptabel ist - das gab es auch!
Ein Saal - eine Sprache
Während der sanierte Altbaubereich weitgehend für Büros genutzt wird, wurde der neue Plenarsaal als zusätzliches Sockelgeschoss halb in den Hang davor eingegraben. Ein zweigeschossiges Foyer mit einer repräsentativen Treppe verbindet ihn mit dem Haupteingang im EG. Der Saalrohbau besteht aus Betonhohlwandelementen, auf denen eine Filigranplattendecke ruht. Das flache, jedoch unzugängliche Saaldach hat ebenso wie die Außenwände eine extensive Begrünung erhalten.
Die Bauherrenschaft wünschte sich explizit Holz im Parlamentssaal, da man das Material und die dazugehörige Wirtschaft als regionaltypisch ansieht.
André Kempe und Oliver Thill dachten: "Wenn Holz - dann richtig!" Das Büro strebt eine hohe Synthese aus Architektur und technischen Erfordernissen an. Die sichtbare Präsenz von Lüftungsgittern und Akustiksegeln will man dabei genauso vermeiden wie große Paneelfelder, die solche Bestandteile zwar optisch kaschieren, jedoch die Wandflächen zergliedern. So entwickelten die Planer das Konzept, das als Fußboden vorgesehene Hirnholzparkett auch für die Innenwände und die Abhangdecke zu verwenden. Das im industriellen Kontext häufig zur Anwendung kommende Material besteht aus quadratischen Segmenten mit 50 mm Nennkantenlänge, hier wurde eine Materialstärke von 22 mm verbaut. Die Eichenholzquadrate sollten mit Fugen verlegt werden, so dass Schlitze entstehen, durch die Schall und Luft strömen, und die erforderliche Haustechnik sollte dahinter verborgen sein.
Ein erstes Detailkonzept sah eine Montage der Parkettelemente aus Lochblechen vor, doch Klaus Orban konnte sich nicht vorstellen, dass mit Heißkleber auf Metall montiertes Holz dauerhaft hält. Stattdessen schlug der Werkstattleiter bei der Töller AG - einer 35 Mitarbeiter zählenden Schreinerei im belgischen Bütgenbach, welche die Plenarsaal- Ausschreibung gewann - die ausgeführte Variante vor: Er regte an, das Parkett auf Multiplexplatten zu leimen und die Quadrate mit 4 mm breiten CnC- Frässchnitten freizulegen, die man bis auf das Trägermaterial herunterführte. Auf die Rückseite der Trägerplatte setzte man ein enges Raster aus Topfbohrungen, die wiederum bis zum aufgeleimten Parkett reichen. So war eine rationale Perforation der Wandtafel möglich und man erhielt ein ausgesprochen stabiles Wandmodul, dessen Größe man auf 60 x 60 cm festlegte. Die gleichartigen Wand- und Deckentafeln wurden werkseitig mit Parkettlack eingelassen, ihre Kanten besitzen Nut und Feder, was ihr Zusammenfügen erleichtert.
Während der sanierte Altbaubereich weitgehend für Büros genutzt wird, wurde der neue Plenarsaal als zusätzliches Sockelgeschoss halb in den Hang davor eingegraben. Ein zweigeschossiges Foyer mit einer repräsentativen Treppe verbindet ihn mit dem Haupteingang im EG. Der Saalrohbau besteht aus Betonhohlwandelementen, auf denen eine Filigranplattendecke ruht. Das flache, jedoch unzugängliche Saaldach hat ebenso wie die Außenwände eine extensive Begrünung erhalten.
Die Bauherrenschaft wünschte sich explizit Holz im Parlamentssaal, da man das Material und die dazugehörige Wirtschaft als regionaltypisch ansieht.
André Kempe und Oliver Thill dachten: "Wenn Holz - dann richtig!" Das Büro strebt eine hohe Synthese aus Architektur und technischen Erfordernissen an. Die sichtbare Präsenz von Lüftungsgittern und Akustiksegeln will man dabei genauso vermeiden wie große Paneelfelder, die solche Bestandteile zwar optisch kaschieren, jedoch die Wandflächen zergliedern. So entwickelten die Planer das Konzept, das als Fußboden vorgesehene Hirnholzparkett auch für die Innenwände und die Abhangdecke zu verwenden. Das im industriellen Kontext häufig zur Anwendung kommende Material besteht aus quadratischen Segmenten mit 50 mm Nennkantenlänge, hier wurde eine Materialstärke von 22 mm verbaut. Die Eichenholzquadrate sollten mit Fugen verlegt werden, so dass Schlitze entstehen, durch die Schall und Luft strömen, und die erforderliche Haustechnik sollte dahinter verborgen sein.
Ein erstes Detailkonzept sah eine Montage der Parkettelemente aus Lochblechen vor, doch Klaus Orban konnte sich nicht vorstellen, dass mit Heißkleber auf Metall montiertes Holz dauerhaft hält. Stattdessen schlug der Werkstattleiter bei der Töller AG - einer 35 Mitarbeiter zählenden Schreinerei im belgischen Bütgenbach, welche die Plenarsaal- Ausschreibung gewann - die ausgeführte Variante vor: Er regte an, das Parkett auf Multiplexplatten zu leimen und die Quadrate mit 4 mm breiten CnC- Frässchnitten freizulegen, die man bis auf das Trägermaterial herunterführte. Auf die Rückseite der Trägerplatte setzte man ein enges Raster aus Topfbohrungen, die wiederum bis zum aufgeleimten Parkett reichen. So war eine rationale Perforation der Wandtafel möglich und man erhielt ein ausgesprochen stabiles Wandmodul, dessen Größe man auf 60 x 60 cm festlegte. Die gleichartigen Wand- und Deckentafeln wurden werkseitig mit Parkettlack eingelassen, ihre Kanten besitzen Nut und Feder, was ihr Zusammenfügen erleichtert.
Deckenkonstruktion
Ähnlich einer Gipskarton- Trockenbaukonstruktion wurde die hölzerne Abhangdecke mit Gewindestangen und justierbaren Muttern am Rohbau befestigt. Gehalten werden die Elemente mit zwei 28 x 60 mm großen C- Profilen, die mit einer Schwerlastschiene verklipst sind. Oberhalb der Abhangdecken sind keine störanfälligen Gerätschaften verbaut, weshalb weitgehend von Revisionsöffnungen abgesehen werden konnte. Neben einem durchgehenden Streifen, dem vordersten Feld unmittelbar hinter der großen, durchgehenden Fensterfront, gibt es nur zwei weitere Revi- Klappen.
Ähnlich einer Gipskarton- Trockenbaukonstruktion wurde die hölzerne Abhangdecke mit Gewindestangen und justierbaren Muttern am Rohbau befestigt. Gehalten werden die Elemente mit zwei 28 x 60 mm großen C- Profilen, die mit einer Schwerlastschiene verklipst sind. Oberhalb der Abhangdecken sind keine störanfälligen Gerätschaften verbaut, weshalb weitgehend von Revisionsöffnungen abgesehen werden konnte. Neben einem durchgehenden Streifen, dem vordersten Feld unmittelbar hinter der großen, durchgehenden Fensterfront, gibt es nur zwei weitere Revi- Klappen.
Toleranzen
Die Ausführungsplanung erfolgte auf den Millimeter genau. Tatsächlich legten die Architekten einen Plan vor, der wie Millimeterpapier aussieht, de facto aber nur jede einzelne Hirnholzkachel zeigt. Die besondere Aufgabe war es, in allen Innenraumecken mit einer ganzen Kachel zu enden, diese maß nach dem Frässchnitt 44 x 44 mm.
Zwar führte der aus Ersparnisgründen in Betonfertigteilbauweise ausgeführte Rohbau - er war 50.000,- Euro günstiger als eine Ortbetonversion - zu einer deutlich höheren Präzision, die Justierbarkeit der Vorwandkonstruktion und der Abhangdecke war jedoch unverzichtbar, um unvermeidliche Bautoleranzen auszugleichen.
"Wie ein Puzzle mit 2.000 Teilen" vergleicht Saskia Hermaneck, Projektleiterin im Atelier Kempe Thill die planerische Aufgabe, die gekrümmten Sitzungsbänke der Parlamentarier so anzulegen, dass deren innerer und äußerer Krümmungsradius jeweils ein Vielfaches des Klötzchenmoduls war. Das halbkreisförmige Tischmobiliar wurde mit quadratischen Stahlträgern der Kantenlänge 100 mm direkt im Rohbaufußboden befestigt. Die exakte Position derselben wurde mit Hilfe von Schablonen ermittelt, die die Möbelbauer zuvor auf dem Boden ausgelegt hatten.
Auf der Metallunterkonstruktion brachten dann die Schreiner der Toeller AG die perforierte Hirnholzvertäfelung an. Dabei waren die Bauteile nicht gekrümmt vorgefertigt worden, sondern die Handwerker zogen die Elemente erst mit der Montage unter Spannung krumm. Unterhalb der Tischplatte entströmt diesen nun Frischluft, die Vorderseite ist hingegen mit Akustikvlies hinterlegt.
Um die aufgehenden Stahlholme herum wurde ein gut 50 cm hoher Hohlraumfußboden gestellt. Auf den mineralischen Basiselementen liegt ein Korkgranulat als Trennlage. Es verhindert, dass sich die Trennfugen der Bodenplatten unschön auf dem hier in klassischer Weise verlegten Hirnholzparkett abzeichnen. Tatsächlich liegen aber alle Hirnholzparkettquadrate - ganz gleich ob Boden, Wand oder Decke - in einem einheitlichen Raster.
Die Ausführungsplanung erfolgte auf den Millimeter genau. Tatsächlich legten die Architekten einen Plan vor, der wie Millimeterpapier aussieht, de facto aber nur jede einzelne Hirnholzkachel zeigt. Die besondere Aufgabe war es, in allen Innenraumecken mit einer ganzen Kachel zu enden, diese maß nach dem Frässchnitt 44 x 44 mm.
Zwar führte der aus Ersparnisgründen in Betonfertigteilbauweise ausgeführte Rohbau - er war 50.000,- Euro günstiger als eine Ortbetonversion - zu einer deutlich höheren Präzision, die Justierbarkeit der Vorwandkonstruktion und der Abhangdecke war jedoch unverzichtbar, um unvermeidliche Bautoleranzen auszugleichen.
"Wie ein Puzzle mit 2.000 Teilen" vergleicht Saskia Hermaneck, Projektleiterin im Atelier Kempe Thill die planerische Aufgabe, die gekrümmten Sitzungsbänke der Parlamentarier so anzulegen, dass deren innerer und äußerer Krümmungsradius jeweils ein Vielfaches des Klötzchenmoduls war. Das halbkreisförmige Tischmobiliar wurde mit quadratischen Stahlträgern der Kantenlänge 100 mm direkt im Rohbaufußboden befestigt. Die exakte Position derselben wurde mit Hilfe von Schablonen ermittelt, die die Möbelbauer zuvor auf dem Boden ausgelegt hatten.
Auf der Metallunterkonstruktion brachten dann die Schreiner der Toeller AG die perforierte Hirnholzvertäfelung an. Dabei waren die Bauteile nicht gekrümmt vorgefertigt worden, sondern die Handwerker zogen die Elemente erst mit der Montage unter Spannung krumm. Unterhalb der Tischplatte entströmt diesen nun Frischluft, die Vorderseite ist hingegen mit Akustikvlies hinterlegt.
Um die aufgehenden Stahlholme herum wurde ein gut 50 cm hoher Hohlraumfußboden gestellt. Auf den mineralischen Basiselementen liegt ein Korkgranulat als Trennlage. Es verhindert, dass sich die Trennfugen der Bodenplatten unschön auf dem hier in klassischer Weise verlegten Hirnholzparkett abzeichnen. Tatsächlich liegen aber alle Hirnholzparkettquadrate - ganz gleich ob Boden, Wand oder Decke - in einem einheitlichen Raster.
Tarnung und Treppe
Beeindruckt von der schieren Präzision verlässt der Autor nach der ausführlichen Führung von Klaus Orban den Parlamentssaal. Auf dem Weg nach oben bleibt der Werkstattleiter auf der Foyertreppe stehen, weist schmunzelnd auf diese und erklärt, dass nicht nur der Saal mit seinen seitlichen, bislang unerwähnten und absolut unscheinbaren Tapetentüren in dem Parkettraster gehalten ist, sondern auch das Steigmaß der Treppe. Es sind nicht die klassischen 17/29 cm, sondern eben 17,5/30 cm - oder sechs Klötzchen hintereinander.
Robert Mehl, Aachen
Beeindruckt von der schieren Präzision verlässt der Autor nach der ausführlichen Führung von Klaus Orban den Parlamentssaal. Auf dem Weg nach oben bleibt der Werkstattleiter auf der Foyertreppe stehen, weist schmunzelnd auf diese und erklärt, dass nicht nur der Saal mit seinen seitlichen, bislang unerwähnten und absolut unscheinbaren Tapetentüren in dem Parkettraster gehalten ist, sondern auch das Steigmaß der Treppe. Es sind nicht die klassischen 17/29 cm, sondern eben 17,5/30 cm - oder sechs Klötzchen hintereinander.
Robert Mehl, Aachen