Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Museum
Ort:
Flims [Satellit]
Staat:
Schweiz
Architekt:
Materialien:
studio other spaces 🔗 (Wechselausstellung 2023-24)
Publiziert:
baublatt 22/2023
Seiten:
39 - 40
Inhalt:
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Olafur Eliasson und Sebastian Behmann in Flims

Räumliche Solidaritäten

Im Gelben Haus in Flims präsentiert das studio other spaces (SOS) von Olafur Eliasson und Sebastian Behmann noch bis zum 27.10.2024 eine Ausstellung, die das künstlerische Schaffen des Büros in einen weitreichenden Kontext zu aktuellen Themen setzt. Die Arbeiten werden nach sozialen, ökologischen oder energetischen Projekten aus der nahen Umgebung benannt, die als Außenstandorte ebenfalls besucht werden können.
Das Gelbe Haus in Flims ist eigentlich ein weißes. Der mutmaßlich aus dem vorletzten Jahrhundert stammende, über viele Jahre leerstehende Altbau in der Dorfmitte wurde zwischen 1997 und 1999 von Valerio Olgiati saniert und umgebaut. Anlass dazu war die Schenkung einer Kulturgütersammlung seines Vaters Rudolf Olgiati an die Gemeinde. Diese Gabe war mit dem Wunsch verbunden, man möge diesen damals hochmaroden Bau erhalten und seine Musealien darin zeigen. Zur dauerhaften Präsentation seiner Museumsstücke kam es nie, es wurde jedoch mit der Eröffnung des seitdem weiß gestrichenen Baus der Verein „Gelbes Haus“ gegründet. Dieser bespielt das Haus mit ein bis drei Wechselausstellungen pro Jahr. Infolge der Corona- Pandemie mussten diese ausgesetzt werden, weshalb der Verein unter seiner derzeitigen Präsidentin Anita Candrian beschloss, den Neustart mit einem „echten Blockbuster“ – so ihre Wortwahl – zu beginnen. Carmen Gasser Derungs und ihr Mann Remo Derungs, die die künstlerische Leitung beim "Gelben Haus" innehaben, schlugen daraufhin das Berliner studio other spaces vor. Tatsächlich kam Sebastian Behmann dieser Anfrage gerne nach, da er wiederholt in Flims sommers wie winters urlaubte und ihm auch das „Gelbe Haus“ ein Begriff war.
Kollaboration als Prinzip
Die künstlerische Arbeit von Olafur Eliasson und Sebastian Behmann ist von kollegialer Zusammenarbeit geprägt. So haben der Künstler Eliasson und der Architekt Behmann um die Jahrtausendwende ihre Zusammenarbeit begonnen. Eliasson wollte mit seiner Kunst „mehr“ schaffen als bloße Ausstellungsobjekte. Diese sollten nicht nur betrachtet werden, sondern auch eine Funktion besitzen und damit aktiv Einfluss auf ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld nehmen. So fiel Behmann anfangs die Werkplanung und die Umsetzung dieser durchaus architekturnahen Objekte zu, was sich jedoch zunehmend in einen künstlerischen Beitrag wandelte. 2011 gründeten beide das studio other spaces zur konstruktiven Ausarbeitung der künstlerischen Ansätze. Daneben gibt es das Studio Olafur Eliasson (an dem Behmann ebenfalls beteiligt ist), das ebenfalls in Berlin angesiedelt ist und in dem die eigentlichen Kunstkonzepte entstehen.
Der kollaborative Gedanke beschränkt sich jedoch nicht auf die interne Kooperation, sondern – und das ist das erklärte Ziel – ebenso auf die Kollaboration mit externen Akteuren. Dabei handelt es sich sowohl um wiederkehrende Partner wie etwa Elizabeth McTann (die auch am Projekt „Räumliche Solidaritäten“ u.a. mit einem Essay beteiligt war) als auch um Neubeteiligte wie Damian Christinger, der für die Flimser Schau die 15 externen Projekte kuratiert hat.
Wechselwirkungen
Die Vorbereitung der Ausstellung war geprägt von vielen Besuchen im Bündener Umland von Flims und vielen Gesprächen mit Menschen, die dort ihre eigenen Projekte auf die Beine gestellt haben. In der Ausstellung werden die ausgewählten 15 Projekte mit wenigen, jedoch professionell durch SOS erstellten Fotos in Szene gesetzt und kompakt beschrieben. Darüber hinaus begreifen die Ausstellungsmacher diese Projekte als Ausläufer (Spillage) ihrer Ausstellung, die die Besucher im Zuge ihres Aufenthaltes in Flims aufsuchen können. Den Kuratoren ist wichtig festzustellen, dass diese externen Projekte nicht zwingend Lösungen darstellen, sondern oftmals nur ein aktuell drängendes Problem prägnant auf den Punkt bringen. SOS führt das Erdgeschoss seiner Ausstellung unter dem Begriff "Timefulness" (Zeitbewusstsein), das erste Obergeschoss unter "Project Ecologies"(Projektökologien) und das Zweite Obergeschoss unter "The Commons" (Gemeingut) und die externen Exponate bezeichnet das Büro als "Spillage" (Ausläufer).
Zeitbewusstsein (Timefulness)
Entsprechend geht es auf der Eingangsebene um die gelebten menschlichen und nichtmenschlichen Verflechtungen über die verschiedenen Zeiträume hinweg. Die Raummitte nimmt ein von SOS entworfener runder Teppich namens "Map of Shaping Forces" ein, der acht Landkarten in sich vereint. Diese verdeutlichen bestimmte Kräfte, die die Region Flims nicht nur in physikalischen Dimensionen (etwa Höhenprofile, Wasserläufe, Wälder, Gletscherausdehnungen. Permafrostverteilung) prägen, sondern auch die Landschaft unter wirtschaftlichen Aspekten stark beeinflussen (etwa Stromnetztrassen). All diese Informationen wurden gewissermaßen wortwörtlich zu einer Teppichgrafik verwoben. Gezeigt werden in diesem Raum auch rollende Steine: reale Gletscherfindlinge, die durch einen Unterbau aus Schwerlastrollen mobilisiert wurden und nunmehr als Sitzmöbel dienen. Sie sollen verdeutlichen, das nichts ist, wie es scheint, und das alles im Fluss ist.
Projektökologien (Project Ecologies)
Grundsätzlich lassen sich die vorgestellten Projekte in wenige Großkategorien unterteilen: Energiegewinnung und Energieverteilung, vermeintliche Dualität von Stadt und Land (Landflucht, Überalterung, Rückkehr der Städter, nahtloser Tourismus (Seamless Tourism) mit allen damit einhergehenden Problemen) und Nahrungsmittelproduktion mit ihrem unverhältnismäßigen Energiebedarf von 6:1. Den ortsnahen Projekten hat SOS seine eigenen entgegengesetzt. Dafür wurde im 1. Obergeschoss ein offenes Standregal aufgestellt, das im Grundriss ein „C“ bildet. Auf seiner Außenseite werden die regionalen Projekte vorgestellt, die Innenseite zeigt die SOS- Projekte. Die Offenheit des Möbels stellt Sichtachsen zwischen diesen vordergründig unterschiedlichen Projekten her und setzt diese auch räumlich in Beziehung.
So wird etwa die Bodenforschungsstation der ZHAW in Bädenswil vorgestellt, die in Untersuchungen herausfand, dass Mutterboden 1,5 Mio. Jahre an natürlichem Wachstum bedarf, um maximal energieeffizient Nahrungsmittel in Form von Pflanzen zu produzieren. Schon ein einmaliges Durchpflügen und Düngen zerstört diesen Boden. Kurzfristig mag zwar der Bodenertrag ein besserer sein, langfristig aber ist die Scholle tot.
Diesem Projekt hat SOS seinen Pavillon "Vertical Panorama" gegenübergestellt, den das Büro für ein kalifornisches Weingut geschaffen hat. Er ist halb eingegraben, so dass sich die Köpfe der darin sitzenden Besucher etwa in Höhe der Grasnarbe befinden. Die Architekten wollten mit dieser Geste verdeutlichen, dass der Geschmack eines Weins stark vom Boden und dessen Durchwurzelung abhängt. Überdies weist der im Grundriss runde Pavillon eine gläserne Kuppel in Form eines sphärischen Kegelstumpfs auf. Sein Farbspektrum reicht von Tiefblau bis Dunkelrot und stellt die durchschnittlichen Wetterdaten für das Napa- Valley im Jahreslauf dar: Die Rottöne stehen dabei für die Temperaturen, die Blautöne für die Niederschläge.
Gemeingut (The Commons)
Das zweite Obergeschoss ist schließlich der Solidarität mit dem Gemeingut gewidmet, den natürlichen Ressourcen, die allen gehören und die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen: das Licht, die Luft, der Himmel. Es geht insbesondere auch um die offene Einladung zur gesellschaftlichen Teilhabe, insbesondere um die Aneignung von Orten, die von prekären Bevölkerungsschichten vielfach als elitär angesehen werden. Konkret wird hier umfassend auf das Projekt „Common Sky“ in Buffalo eingegangen, das im baublatt 20/2023 ausführlich besprochen wurde. Sebastian Behmann zeigt sich bei diesem Projekt begeistert von der raschen gesellschaftlichen Aneignung dieses Ortes. Hervorgerufen wird dies durch eine konstruktive Überdramatisierung der natürlichen Lichtverhältnisse. So entstand eine Destination, die man bewusst aufsucht, in der man sich trifft und auch länger aufhält – und das in einem Museum!
Atmendes Haus
Demgegenüber steht der Blick aus den Fenstern, die Aussicht aus dem „Gelben Haus“ auf das unmittelbare stadträumliche Umfeld in Flims. Ergänzt wird diese um eine eigens für diese Ausstellung eingerichtete Lichtinstallation in den Fenstern. Diese werden mit einbrechender Dunkelheit von einem langsam pulsierenden weißen Licht angestrahlt. Dessen Geschwindigkeit ändert sich mit der mutmaßlichen Anzahl der anwesenden Bewohner von Flims, die zwischen 3.000 und 30.000 Personen schwankt. Die Zahlen werden freilich nicht in Echtzeit erfasst, sondern entsprechen einem statistischen täglichen Mittelwert, der vom Fremdenverkehrsamt benannt wurde. Das Maximum wird in der Weihnachtszeit erreicht, dann entspricht der Lichtrhythmus der Länge eines normalen menschlichen Atemzugs. Der Minimalimpuls ist hingegen in der Zwischensaison zu sehen und zieht sich etwa über 20 Sekunden hin.
SOS will mit diesem Lichtprojekt auf die hohe Zahl der Feriengäste und die geringe Anzahl der ständigen Bewohner aufmerksam machen. Tatsächlich gibt es – nicht nur in Flims – unzählige Ferienwohnungen, die durchschnittlich nur 32 Tage im Jahr genutzt werden. Dagegen steht die Pflicht der Gemeinde mit ihren wenigen ständigen Bewohnern, eine Infrastruktur bereitzustellen und instand zu halten, die solche punktuellen Anstürme in den Hauptreisezeiten bewältigen kann. Diese Lichtinstallation hat Sebastian Behmann „Atmendes Haus“ genannt. Mit ihrer mitunter "hechelnden" Dynamik visualisiert sie die Dringlichkeit der Beantwortung der Fragen, die mit den Projekten dieser Ausstellung gestellt wurden. .
Robert Mehl, Aachen
https://www.baublatt.ch/bauprojekte/studio-other-spaces-olafur-eliasson-und-sebastian-behmann-im-gelben-haus-in-flims-35021