Projektart:
Anfrage:
per mail ✉
Objekt:
Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Typ:
Gedenkstätte
Ort:
Berlin [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Peter Eisenman 🔗, New York
Materialien:
Beton, Betonfertigteile
Publiziert:
BFT 05/2005
Seiten:
6 -13
Inhalt:
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Kein Vergleich
Wenn sich am 8. Mai 2005 das Ende des Zweiten Weltkrieges zum sechzigsten Male jährt, wird in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden feierlich eingeweiht werden. Das von Peter Eisenman entworfene Stelenfeld befindet sich an der Ebertstraße, etwa auf halber Höhe zwischen dem Brandenburger Tor und dem Potsdamer Platz. Während über den Entstehungsprozess und auch über die charakteristischen 2.700 Betonquader umfassend berichtet wurde, blieb der dazugehörige, unterirdisch angelegte "Ort der Information" der Öffentlichkeit bisher weitgehend verborgen.
Betrachtet man einen Lageplan des Areals rund um das Brandenburger Tor, so macht sich das Stelenfeld wie eine Fehlstelle im gefälligen Webmuster des Stadtplanes aus. Klare Konturen und Linien weichen einem diffus begrenzten Fleck, der wiederum ein eigenes, viel kleinteiligeres Raster besitzt. Sein Modul ist das Grundmaß der anthrazitfarbenen Betonstelen: 2,38 x 0,95 m, wobei deren längere Rechteckkante etwa die Ostwest- Richtung weist. Das Areal hat keine klare Begrenzung, einzelne Blöcke finden sich bündig eingelassen in die regulären Bürgersteige, die das Denkmal allseitig umgeben. Sie können als erste Berührungspunkte zum Alltag und der Gegenwart verstanden werden. Vom benachbarten Tiergarten auf der anderen Seite der Ebertstraße ausgehend, wurden 41 Bäume in das Stelenfeld gepflanzt. Hauptsächlich Kiefern, Linden und Geweihbäume vermitteln hier einen allmählichen, vielleicht 25 m breiten Übergang von dem dichten Grün der Parklandschaft in das tiefe Grau des Quadermeeres.
Das Stelenfeld selber wurde über einer künstlichen Senke errichtet. In mehreren Wellenbewegungen fällt deren Sohle bis auf 2,40 m unter das Straßenniveau ab. Gleichzeitig wachsen die Betonquader in einer ähnlichen, jedoch nicht synchronen Bewegung auf einen ähnlichen Wert über diese Nullebene an. So findet man in der Mitte des Areals eine lichte, steinerne Amplitude von etwa 4,70 m vor. Der Weg dorthin ist ein sinnfälliges Erlebnis, Schall und Klima verändern sich nachhaltig. Der soeben noch vernommene Lärm der Großstadt weicht der Akustik eines geschlossenen Raumes. Licht und Wärme werden zunehmend von den anthrazitfarbenen Kunststeinen absorbiert.
Diese als Hohlkörper ausgeführten Betonfertigteile reduzieren die Temperatur nachhaltig. Sie wurden von der Firma H. Geithner in einem aufwändigen Verfahren in elf Höhengruppen zwischen 0,20 m und 5,00 m produziert. Ihrer Herstellung war auf den 49. Ulmer Beton- und Fertigteiltagen eine ganze Vortragsreihe gewidmet, die in unserer Februarausgabe auf den Seiten 74 bis 85 sowie 204ff. wiedergegeben ist.
Die Quaderreihen bilden keine akkurate Flucht. Scheinbar willkürlich neigen sich die Stelen vor und zurück. Tatsächlich gab der Architekt für jeden Betonblock eine individuelle Neigung vor, um einer idealisierenden Gleichförmigkeit entgegenzuwirken. Auch wäre diese Monotonie ein unzureichendes Bild dafür gewesen, dass jeder Mord ein Individuum auslöschte.
Um die Höhenentwicklung des Bodens gut nachvollziehen zu können, wurden die schmalen Gassen zwischen den Stelenfolgen mit Kleinpflaster verlegt. Die quadratischen Betonsteine wurden von der Firma Ehl aus Kruft speziell für dieses Projekt angefertigt. Sie sind auf den Farbton der Stelen abgestimmt.
Die Entwässerung des künstlichen Tales erfolgt entweder über die natürliche Versickerung entlang der Pflasterfugen oder durch einige wenige zentrale Abflüsse. Diese ebenfalls quadratischen Einläufe werden durch Deckel aus unbehandeltem rostbraunem Gusseisen verdeckt. Ihre Detailierung ist auf das Fugenmaß des Bodenbelages abgestimmt. Unter dem gesamten Denkmal- Areal erstreckt sich eine besondere Drainageschicht, die das versickerte Oberflächenwasser auffängt. Dieses wird zusammen mit dem Wasser der oberirdischen Abflüsse einem Regenwassersammelbecken zugeführt. Hier wird es gefiltert und als Betriebswasser für die Baumbewässerung bereitgestellt oder dem Grundwasser zugeführt.
Das Denkmal besitzt ein unterirdisches Informationszentrum. Dieser so genannte „Ort der Information“. befindet sich unter dem südöstlichen Bereich des Denkmals und erstreckt sich etwa über 15% des gesamten Areals. Über Tage wird seine Position durch einen kleinen kubischen Bau angezeigt: Er dient als Zugang zu einem Aufzug, der den barrierefreien Besuch der unterirdischen Ausstellung gestattet. Die beiden Haupttreppenanlagen, die zu dieser Ebene hinabführen, liegen im Randbereich des Stelenfeldes, weshalb nur noch einzelne, jedoch beeindruckend hohe Quader diese Stufenfolgen stören.
Drei zusätzliche Notausgänge wurden elegant in das Stelenfeld integriert: Jeweils exakt die Breite einer Stelengasse einnehmend, führen sie über eine einläufige Treppe hinaus ins Freie.
Die von Dagmar von Wilcken entworfene Dauerausstellung verteilt sich über vier quadratische Kernräume, die gegenüber der oberirdischen Quadermatrix etwa um 5° verdreht sind. Zusammen bilden diese ein erneutes Quadrat, das im Osten und im Süden von einem L-förmigen Foyer gefasst wird. Der Zugang zum Ort der Information erfolgt am Schnittpunkt dieser trapezartigen Schenkel aus nördlicher Richtung. Der Ausgang erfolgt über einen etwas schmaleren Aufstieg Richtung Westen.
Die massive Sichtbetondecke des Dokumentationszentrums folgt den tektonischen Schwüngen des darüberliegenden Terrains. Eine dem Stelen- Modul entsprechende Kassettierung macht die exakte Position der auf ihr errichteten Betonvolumina unter Tage ablesbar. Einige dieser Kassetten wurden als Rauchschutzklappen ausgeführt. Im Brandfalle dient ihr ganzer Querschnitt der Entrauchung. Die sich jeweils über dieser Deckenöffnung befindlichen ohnehin hohlen Stelen fungieren als Kamine. An ihren Oberseiten findet man statt der glatten Deckfläche schwarze Lüftungsgitter vor. Die notwendigen leistungsstarken Gebläse sind in den Betonquadern integriert.
Die Vitrinen der Ausstellung orientieren sich ebenfalls an dem oberirdischen Stelenraster. Aufgrund der erwähnten 5°-Drehung durchschneiden ihre Fluchten in spitzen Winkeln die vier Präsentationsräume. Befestigt an den Wänden oder in der Decke streben diese in einer Betonoptik ausgeführten Informationselemente dem Besucher entgegen oder sind als begehbare Leuchttafeln bündig in den anthrazitfarbenen Hartgummiboden eingelassen.
Der Rundgang beginnt mit einer allgemeinen zeitlichen Einordnung der Geschehnisse im nördlichen Eingangsfoyer. Während im ersten Raum die Größenordnung des Völkermordes benannt wird, richtet der zweite Saal seinen Fokus auf Einzelschicksale, die hier exemplarisch vorgestellt werden. Im dritten Raum werden Namen von Juden gezeigt und aus dem "Off" verlesen, die durch das NS- Regime starben. Im vierten Raum schließt der Rundgang mit den Orten der Vernichtung. Das Grauen der Konzentrationslager wird dem Besucher durch Bild- und Tondokumente nahegebracht. Im Ausgangsfoyer schließlich erhält der Gast die Möglichkeit, sich selbstständig mittels Online- Stationen über weitere NS- Dokumentationszentren zu informieren oder Namen ermordeter Juden direkt im Register der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu recherchieren.
Mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde ein Ort geschaffen, der in einer beeindruckenden Form einen künstlerischen Ausdruck für die Ungeheuerlichkeit dieser Verbrechen gefunden hat, die selber mit nichts verglichen werden können. Analog zu der intendierten allgegenwärtigen Präsenz des Holocaust in unserem Bewusstsein, werden die Quaderreihen Tag und Nacht frei zugänglich sein. Bleibt zu hoffen, dass ihre Würde und ihre Ausstrahlungskraft so stark sind, dass dieser so sinnfällige Ort von sonnenhungrigen Kletterkünstlern und tageslichtscheuen Lustwandlern verschont bleiben wird. Ob die Öffentlichkeit reif für eine solche Verantwortung ist, wird sich zeigen.
Robert Mehl, Aachen
Das Stelenfeld selber wurde über einer künstlichen Senke errichtet. In mehreren Wellenbewegungen fällt deren Sohle bis auf 2,40 m unter das Straßenniveau ab. Gleichzeitig wachsen die Betonquader in einer ähnlichen, jedoch nicht synchronen Bewegung auf einen ähnlichen Wert über diese Nullebene an. So findet man in der Mitte des Areals eine lichte, steinerne Amplitude von etwa 4,70 m vor. Der Weg dorthin ist ein sinnfälliges Erlebnis, Schall und Klima verändern sich nachhaltig. Der soeben noch vernommene Lärm der Großstadt weicht der Akustik eines geschlossenen Raumes. Licht und Wärme werden zunehmend von den anthrazitfarbenen Kunststeinen absorbiert.
Diese als Hohlkörper ausgeführten Betonfertigteile reduzieren die Temperatur nachhaltig. Sie wurden von der Firma H. Geithner in einem aufwändigen Verfahren in elf Höhengruppen zwischen 0,20 m und 5,00 m produziert. Ihrer Herstellung war auf den 49. Ulmer Beton- und Fertigteiltagen eine ganze Vortragsreihe gewidmet, die in unserer Februarausgabe auf den Seiten 74 bis 85 sowie 204ff. wiedergegeben ist.
Die Quaderreihen bilden keine akkurate Flucht. Scheinbar willkürlich neigen sich die Stelen vor und zurück. Tatsächlich gab der Architekt für jeden Betonblock eine individuelle Neigung vor, um einer idealisierenden Gleichförmigkeit entgegenzuwirken. Auch wäre diese Monotonie ein unzureichendes Bild dafür gewesen, dass jeder Mord ein Individuum auslöschte.
Um die Höhenentwicklung des Bodens gut nachvollziehen zu können, wurden die schmalen Gassen zwischen den Stelenfolgen mit Kleinpflaster verlegt. Die quadratischen Betonsteine wurden von der Firma Ehl aus Kruft speziell für dieses Projekt angefertigt. Sie sind auf den Farbton der Stelen abgestimmt.
Die Entwässerung des künstlichen Tales erfolgt entweder über die natürliche Versickerung entlang der Pflasterfugen oder durch einige wenige zentrale Abflüsse. Diese ebenfalls quadratischen Einläufe werden durch Deckel aus unbehandeltem rostbraunem Gusseisen verdeckt. Ihre Detailierung ist auf das Fugenmaß des Bodenbelages abgestimmt. Unter dem gesamten Denkmal- Areal erstreckt sich eine besondere Drainageschicht, die das versickerte Oberflächenwasser auffängt. Dieses wird zusammen mit dem Wasser der oberirdischen Abflüsse einem Regenwassersammelbecken zugeführt. Hier wird es gefiltert und als Betriebswasser für die Baumbewässerung bereitgestellt oder dem Grundwasser zugeführt.
Das Denkmal besitzt ein unterirdisches Informationszentrum. Dieser so genannte „Ort der Information“. befindet sich unter dem südöstlichen Bereich des Denkmals und erstreckt sich etwa über 15% des gesamten Areals. Über Tage wird seine Position durch einen kleinen kubischen Bau angezeigt: Er dient als Zugang zu einem Aufzug, der den barrierefreien Besuch der unterirdischen Ausstellung gestattet. Die beiden Haupttreppenanlagen, die zu dieser Ebene hinabführen, liegen im Randbereich des Stelenfeldes, weshalb nur noch einzelne, jedoch beeindruckend hohe Quader diese Stufenfolgen stören.
Drei zusätzliche Notausgänge wurden elegant in das Stelenfeld integriert: Jeweils exakt die Breite einer Stelengasse einnehmend, führen sie über eine einläufige Treppe hinaus ins Freie.
Die von Dagmar von Wilcken entworfene Dauerausstellung verteilt sich über vier quadratische Kernräume, die gegenüber der oberirdischen Quadermatrix etwa um 5° verdreht sind. Zusammen bilden diese ein erneutes Quadrat, das im Osten und im Süden von einem L-förmigen Foyer gefasst wird. Der Zugang zum Ort der Information erfolgt am Schnittpunkt dieser trapezartigen Schenkel aus nördlicher Richtung. Der Ausgang erfolgt über einen etwas schmaleren Aufstieg Richtung Westen.
Die massive Sichtbetondecke des Dokumentationszentrums folgt den tektonischen Schwüngen des darüberliegenden Terrains. Eine dem Stelen- Modul entsprechende Kassettierung macht die exakte Position der auf ihr errichteten Betonvolumina unter Tage ablesbar. Einige dieser Kassetten wurden als Rauchschutzklappen ausgeführt. Im Brandfalle dient ihr ganzer Querschnitt der Entrauchung. Die sich jeweils über dieser Deckenöffnung befindlichen ohnehin hohlen Stelen fungieren als Kamine. An ihren Oberseiten findet man statt der glatten Deckfläche schwarze Lüftungsgitter vor. Die notwendigen leistungsstarken Gebläse sind in den Betonquadern integriert.
Die Vitrinen der Ausstellung orientieren sich ebenfalls an dem oberirdischen Stelenraster. Aufgrund der erwähnten 5°-Drehung durchschneiden ihre Fluchten in spitzen Winkeln die vier Präsentationsräume. Befestigt an den Wänden oder in der Decke streben diese in einer Betonoptik ausgeführten Informationselemente dem Besucher entgegen oder sind als begehbare Leuchttafeln bündig in den anthrazitfarbenen Hartgummiboden eingelassen.
Der Rundgang beginnt mit einer allgemeinen zeitlichen Einordnung der Geschehnisse im nördlichen Eingangsfoyer. Während im ersten Raum die Größenordnung des Völkermordes benannt wird, richtet der zweite Saal seinen Fokus auf Einzelschicksale, die hier exemplarisch vorgestellt werden. Im dritten Raum werden Namen von Juden gezeigt und aus dem "Off" verlesen, die durch das NS- Regime starben. Im vierten Raum schließt der Rundgang mit den Orten der Vernichtung. Das Grauen der Konzentrationslager wird dem Besucher durch Bild- und Tondokumente nahegebracht. Im Ausgangsfoyer schließlich erhält der Gast die Möglichkeit, sich selbstständig mittels Online- Stationen über weitere NS- Dokumentationszentren zu informieren oder Namen ermordeter Juden direkt im Register der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu recherchieren.
Mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde ein Ort geschaffen, der in einer beeindruckenden Form einen künstlerischen Ausdruck für die Ungeheuerlichkeit dieser Verbrechen gefunden hat, die selber mit nichts verglichen werden können. Analog zu der intendierten allgegenwärtigen Präsenz des Holocaust in unserem Bewusstsein, werden die Quaderreihen Tag und Nacht frei zugänglich sein. Bleibt zu hoffen, dass ihre Würde und ihre Ausstrahlungskraft so stark sind, dass dieser so sinnfällige Ort von sonnenhungrigen Kletterkünstlern und tageslichtscheuen Lustwandlern verschont bleiben wird. Ob die Öffentlichkeit reif für eine solche Verantwortung ist, wird sich zeigen.
Robert Mehl, Aachen