Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Ausstellung
Ort:
München [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Teresa Fankhänel (Kuratorin), Andres Lepik (Direktor)
Materialien:
Historische Computer Hard- und Software
Publiziert:
baublatt 23/2020
Seiten:
32 - 35
Inhalt:
[Artikel]  [2]      
 

Ausstellung "Die Architekturmaschine", Pinakothek der Moderne, München

Computer in der Architektur: Stilbildend oder Handwerkszeug?

Am 13.Oktober 2020 wurde in der Münchener Pinakothek der Moderne die bis zum 10.1.2021 andauernde Ausstellung "Die Architekturmaschine" eröffnet. Sie beschäftigt sich mit der Präsenz und dem Einfluss des Computers auf die architektonische Planung.
Die Vorankündigung vom 4. August 2020 für die Presse schuf eine gewisse Erwartungshaltung: "(...) Auch im Architekturbüro ist der Computer heute Standard und hilft sowohl im Design als auch in der Visualisierung neuer Projekte. Er hat sich zu einer "Architekturmaschine" entwickelt.
Zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum präsentiert das Architekturmuseum der TUM (das ist die Architekturabteilung der Pinakothek der Moderne; die Red.) eine groß angelegte Ausstellung über den Einfluss des Computers auf die Architektur. (...) Die grundlegende Frage des zweijährigen Forschungsprojektes, auf dem die Ausstellung basiert, ist einfach: Hat der Computer die Architektur verändert, und wenn ja, wie?"
Schon in Ihren Eröffnungsworten schränkt die Kuratorin Teresa Fankhänel ein, dass die Antwort darauf schwierig und bei weitem nicht so eindeutig zu geben sei – mehr dazu am Ende des Beitrages. Ausstellungsanlass für die Kuratorin war der nahe "Rentenalter" der ersten Computer: Sowohl die erste (zumindest deutsche) Computermaus – die ebenfalls gezeigt wird – wie auch das allererste Zeichenprogramm Sketchpad werden 2023 60 Jahre alt. Musealen Handlungsbedarf sieht die Kuratorin auch in dem Umstand, dass nicht nur die digitalen Urväter, sondern auch die erste Generation von Architekten, die digital gearbeitet haben, ganz real in Ruhestand gehen. Es gilt, deren Erbe zu bewahren und die typische Architekturpraxis der letzten Jahrzehnte museal abzubilden.
Der Ausstellungstitel "Die Architekturmaschine" ist eine Hommage an die am MIT in Boston entstandene "Architectural machine group". Diese versuchte, Architektur- Potentiale des Computers nicht nur aus technischer, sondern auch aus humanistischer Sicht zu betrachten. Sie interpretierten ihn nicht allein als Zeichengerät, sondern als kreatives Hilfsmittel des Individuums. Für sie wurde damit das ehedem elitäre Design demokratisiert und dem Benutzer ein intelligenter Designpartner an die Seite gestellt.
Erster allgemeiner Programm- Stammbaum
Nach aktuellen Erhebungen verwendet ein durchschnittliches Architekturbüro heutzutage zwischen 5 und 15 Computerprogramme. Kommerzielle Architektursoftware gibt es auf exklusiver Basis seit 1980er Jahren. Erheblich kostengünstiger und damit viel verbreiteter wurden sie in den 1990er Jahren. So erschienen bereits vor mehr als 30 Jahren:
- 1982 AutoCAD
- 1986 ArchiCAD
- 1987 Illustrator
- 1990 Photoshop
Die Ausstellungsmacher haben erstmals eine chronische Zeittafel der Entwicklung der für ein Architekturbüro relevanten Designprogramme erstellt. Dabei wurden diese in sechs Kategorien aufgeteilt:
- Rendern
- Zeichnen
- Skripten
- Analyse
- Modellierien - Animation
Sind bei einem klassischen Stammbaum die Hochzeiten die Knotenpunkte, markieren hier die Ersterscheinungen die Knotenpunkte. VectorWorks erschien etwa 1999, es ging aus dem 1985 erschienenen MiniCAD hervor. Sowohl in der Ausstellung wie auch im Katalog wird diese "Timeline" prominent präsentiert. In der Pinakothek der Moderne nimmt sie eine fast 10 m lange Wandfläche ein.
Die Ausstellung umfasst ca. 250 Exponate und 40 Fallstudien. Gezeigt werden Werke aus 9 Ländern, aus Europa, aus Asien und aus Nordamerika. Die Ausstellung erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr betrachtet man die Präsentation als einen ersten Schritt im Aufbau einer Sammlung digitaler Architekturexponate.
Ausstellungskonzept
Das Interieur der Ausstellung wurde von Florian Wengert entworfen. Es besteht aus einem System halbtransparenter und kostengünstiger Doppelstegplatten, die als Ausstellungswände dienen. Sie segmentieren die Ausstellungsfläche in mehrere halboffene Raumbereiche. Beim Gang durch die Ausstellung nimmt man zahllose Reflexionen wahr, die von den Bildschirmen und Projekten stammen - oder vom Blitz einer Kamera. Die Idee basiert auf modularen Bausystemen der 1960er Jahre und versinnbildlicht die digitale Ausrichtung der Ausstellung. Die Ausstellung wie auch der Katalog teilen sich auf in vier Kapitel, die lose auf der Chronologie basieren, sich dabei aber zudem auf besondere Aspekte fokussieren.
1. Kapitel: Der Computer als Zeichen- und als Rechenmaschine
Gezeigt wird hier der Nachbau des Bedientisches des allerersten Zeichenprogramms "Sketchpad" von 1963. Ein weiterer Beitrag ist der Siemens- Pavillon auf der Hannover Messe 1970, dem ersten in Deutschland realisierten Gebäude, bei dem ein Computer für Entwurfszwecke eingesetzt wurde. Ludwig Rase war der Architekt, entwickelte zusammen mit dem Programmierer Georg Nees ein additives Sechseck- Schema, das von einem Computerprogramm angeordnet wurde.
2. Kapitel: Der Computer als Entwurfswerkzeug
Mit der Einführung kommerzieller Software in den 1980er Jahren wurde eine breite Verwendung von Computern ohne Kenntnisse von Programmiersprachen möglich. Gezeigt wird neben früheren Arbeiten der Entwurf des BMW- Bubble für die Frankfurter IAA von 1999. Der Frankfurter Architekt Bernhard Franken hatte den wassertropfenartigen Pavillon zusammen mit dem Statikbüro Bollinger + Grohmann aus 305 Plexiglasscheiben entwickelt. Für die Festlegung seiner Kubatur wurde durch den Autokonzern seinerzeit ein 3D- Modell geplottet. Die Kuratorin Fankhänel hält dies tatsächlich für den weltersten 3D- Druck eines Architekturentwurfes. Er ist erhalten und wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt.
3. Kapitel: Computer als Medium des Geschichtenerzählens
Dieser Ausstellungsabschnitt entfernt sich vom Entwurfsprozess und untersucht, wie sich Rendering und Animation seit den 1970er Jahren entwickelten und wie sie die Architektur beeinflusst haben.
Gezeigt wird das Projekt "Cornell in Perspektive" (1969-1972) von Donald P. Greenburg, der als Vater des CAD gilt. Viele relevante Animationsfilmer, wie etwa die Gründer der Pixar- Studios, haben bei ihm an der Cornell University studiert. Die Ausstellungsmacher sind davon überzeugt, dass es sich bei dem rd. 16-minütigen Film um die welterste Animation eines gerenderten Stadtraums handelt. In Ermangelung geeigneter Speichermöglichkeiten wurde die Animation mittels einer analogen Stop- Motion- Technik wie ein Trickfilm realisiert: Perspektivisch minimal veränderte Bildschirmfotos wurden mit einer 16 mm Kamera abfotografiert. Erst die mechanische Filmvorführung ergab das bewegte Bild. Für die Ausstellung wurde der Originalfilm digitalisiert, er wird in einer etwa auf die Hälfte gekürzten Fassung gezeigt.
Zu sehen sind zudem Wettbewerbsbeiträge des nicht realisierten Eyebeam- Centers in New York. Gesucht wurden seinerzeit Vorschläge für ein neues Kunst- und Medienmuseum im Stadtteil Chelsea. Dabei wurde erstmals das Einreichen animierter Entwurfsvisualisierungen (Videos) zur Abgabeleistung gemacht. Die Wettbewerbsabgabe war auf den 12.09.2001 terminiert. Das Datum benennt den traurigen Hintergrund für das Scheitern des Projektes.
4. Kapitel: Der Computer als interaktive Plattform
Dieser Aspekt beschäftigt sich mit interaktiven Arbeiten und dessen Wurzeln. Gezeigt wird John Frazer's 1982er Originalmodell für Walter Segal's "Selbstbauhäuser"-Konzept. Es sollte Laien die Möglichkeit geben, ihr Eigenheim anhand eines Modells selbst zu entwerfen. Das Modell bestand aus einer Grundplatte in Form einer überdimensionalen Computerplatine, in die aufrecht kleinere Platinen eingesteckt wurden. Diese signalisiertem einem angeschlossenen Computer damit ihre Eigenschaft. Sie waren entweder eine Mauer, eine Tür oder ein Fenster. Damit war es möglich, durch einfaches Zusammenstecken hinreichend funktionsfähige Grundrisse zu generieren. Da das Programm zudem eine Aufstellung der Bauteile und der Kosten auswies, kann man es zudem als BIM- Urvater begreifen.
Die Ausstellung kulminiert in einem realen Modell des Barclay Center, einer Multifunktionsarena im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Entworfen wurde es von SHoP Architects unter Zuhilfenahme einer selbstentwickelten App. Sie liegt in der Ausstellung bereit in Form eines Tablet- PC. Startet man diese App und hält den Kleincomputer vor das Modell, dann zeigt der Bildschirm just den hinter dem Gerät liegenden Modellausschnitt als Rendering. Da man nun in der App etwa die Fassade deaktivieren oder sich ein Drahtgittermodell des Entwurfs anzeigen lassen kann, erscheint der Kleincomputer wie eine Röntgenbrille.
Schlussbetrachtung
Zweifellos ist der Ansatz, dem Computer in der Architektur aktuell eine Ausstellung zu widmen, mehr als berechtigt. Allerdings sieht der Autor in der Präsentation vor allem eine beeindruckende Vorstellung technischer Innovationen und deren wechselseitige Beziehungen.
Nimmt man allerdings deren eigene Presseankündigung vom August 2020 als Bewertungsgrundlage, so bleibt nach Auffassung des Autors die Ausstellung hinter der von ihr selbst geschaffenenen Erwartungshaltung zurückt:
"Zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum präsentiert das Architekturmuseum der TUM (das ist die Architekturabteilung der Pinakothek der Moderne; die Red.) eine groß angelegte Ausstellung über den Einfluss des Computers auf die Architektur. (...) Die grundlegende Frage des zweijährigen Forschungsprojektes, auf dem die Ausstellung basiert, ist einfach: Hat der Computer die Architektur verändert, und wenn ja, wie?"
Gewünscht hätte er sich vielmehr eine kulturhistorische Einordnung der Entwicklung, die man etwa am Werk von Zaha M. Hadid oder Jean Nouvel hätte sehr gut nachvollziehen können.
Robert Mehl, Aachen
Ausstellung "Die Architekturmaschine"
Pinakothek der Moderne, München
13.10.2020 - 10.01.2021
Gleichnamiger Katalog
Terese Fankhänel, Andres Lepik (Hrsg.)
248-seitiger, vollfarbiger Katalog, DIN A 4
Birkhäuser, Basel 2020
Deutsche Ausgabe ISBN: 978-3-0356-2155-9
Englische Ausgabe ISBN 978-3-0356-2154-9
Haupteingang der Münchener Pinakothek der Moderne an der Barer Straße
Im Bereich der Architekturabteilung weist in den Fenstern ein silberner Schriftzug auf die Ausstellung hin
Kuratorin Fankhänel erläutert an einer Vitrine die Entwicklung von Computermäusen
Die Animation "Cornell in Perspektive" von Donald P. Greenburg gilt als das welterste Computer-Rendering eines Stadtraumes
Das Original Steckmodell zu Walter Segal's Konzept der Selbstbauhäuser
Kuratorin Fankhänel zeigt den 3D-Plot des BMW-Bubbles. Dieser gilt als der welterste 3D-Plott eines Architekturentwurfes
Synchronisiertes Realmodell und Rendering des New Yorker Barclay Center von SHoP-Architekten
Cover des Ausstellungskatalogs