Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Fahrradständer am ITA
Typ:
Demonstrator Bauwerk
Ort:
Aachen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
imb 🔗, RWTH Aachen
Materialien:
Textilbetondachschalen
Publiziert:
BFT 12/2013
Seiten:
14 - 20
Inhalt:
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Textilbeton- Dachschalen mit nur 2 cm Bauteildicke

Sitzt wie angegossen

An der RWTH Aachen wurde erneut ein Demonstratorbau aus Textilbetonschalen errichtet. Betrug die Materialstärke beim Textilbetonpavillon der Bauingenieurfakultät im letzten Jahr noch 6 cm, so sind es jetzt nur noch 2 cm.
Mit Abmessungen von 4,40 m x 2,14 m und einer Bauteildicke von 2 cm weisen die Textilbeton- Dachelemente des neuen Fahrradabstellplatzes des Instituts für Textiltechnik (ITA) eine für Betontragwerke ungewöhnliche Filigranität auf. Möglich ist diese durch den innovativen Baustoff Textilbeton, der die Wissenschaftler der beiden Hochschulinstitute für Massivbau (IMB) und Textiltechnik (ITA) seit längerem beschäftigt. Im Rahmen eines aktuellen Forschungsvorhabens an der RWTH Aachen entwickelten sie jetzt gemeinsam mit einem Fertigteilhersteller ein Verfahren zur Herstellung und Montage von einfach gekrümmten Textilbeton- Fertigteilen. „Die Lagegenauigkeit der textilen Bewehrungslagen aus Karbonfasern liegt aufgrund der geringen Bauteildicken der Schalen im Millimeterbereich, was für Betonbauteile eine neue Dimension ist!", weiß Alexander Scholzen zu berichten. Er begleitete als Wissenschaftler des IMB das Projekt und promoviert über Textilbetontragwerke bei Prof. Josef Hegger. In diesem Rahmen hat er die erforderliche Schalenstärke nach der Finite- Elemente- Methode berechnet und diese entsprechend der Ergebnisse sehr schlank dimensioniert.
Das Bewehrungsgelege aus dünnen Karbonfasern wirkt wie über Kreuz liegende, schwarze Haarsträhnen, deren Knoten mit weißem Bindfaden fixiert wurden. Tatsächlich besteht das textile Gelege, das am ITA unter Leitung von Prof. Thomas Gries entwickelt wurde, aus hochfesten Kohlefasern. Maßgebende Eigenschaft der Textilien für die entwickelten Fertigteile ist der Aspekt, dass die textile Bewehrung nicht rosten kann und somit auch keine hohen Betonüberdeckungen benötigt. Zudem lässt sie sich einfach gekrümmten Bauteilgeometrien anpassen.
Aufbauende Forschung
Das Forschungsprojekt nutzt die Erkenntnisse des ehemaligen Sonderforschungsbereiches zum Thema „Textilbeton“ an der RWTH Aachen sowie die Erfahrungen, die im Vorjahr bei der Realisierung des Textilbetonpavillons der Fakultät für Bauingenieurwesen gewonnen wurden. Dr. Rostislav Chudoba betreute als Arbeitsgruppenleiter am Institut für Massivbau zusammen mit Herrn Scholzen beide Vorhaben von der statisch-konstruktiven Seite. Signifikanter Unterschied zwischen beiden Projekten ist die auffallende Minimierung der Materialstärke der filigranen Dachelemente. Betrug die Dicke bei den schirmartigen Tragschalen des Textilbetonpavillons aufgrund der großen Spannweite des zukünftigen Seminar- und Veranstaltungsraums von 7 x 7 m noch 6 cm, beläuft sie sich bei den Dachschalen der Fahrradüberdachung auf durchgängig nur noch 2 cm. Auch die Betonoberfläche erscheint optisch anders. Obwohl in beiden Fällen ein hochfester Feinbeton zur Anwendung kam, besitzt der erste Demonstratorbau – der Pavillon – einen etwas gröberen Charakter, was auf ein nochmals feineres Größtkorn zurückzuführen ist. Zudem konnten die im Fertigteilwerk produzierten Dachschalen mit einer PVC- Schalungsfolie hergestellt werden, was die Oberflächenqualität weiter steigern konnte.
Produktion der Betonschalen
Die Optimierung der Betonmischung und die Herstellung der insgesamt fünf Dachschalen aus Textilbeton erfolgten durch die Firma Durapact GmbH in deren Fertigteilwerk in Düsseldorf- Haan. Das Unternehmen besitzt langjährige Erfahrung im Bereich des Faserbetons und produzierte bereits die Textilbetonfassade der Hallenerweiterung des ITAs vor einigen Jahren. Bei der Entwicklung der Herstellungsmethodik der Dachelemente erfolgte eine intensive Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern des IMB, um die hohen Maßanforderungen, insbesondere die statisch relevante Lagengenauigkeit der textilen Bewehrung, zu realisieren. Die Herstellung erfolgte durch ein lagenweises Einbringen der Feinbetonmatrix im Spritzverfahren und durch ein sukzessives Einlaminieren der textilen Bewehrungslagen.
Im Anschluss an eine mehrwöchige Aushärtungsphase in der schützenden Fertigungshalle wurden die vorgefertigten Betonbauteile zum Ausschalen gedreht und jedes Element auf eine eigene Unterkonstruktion aus Holz abgelegt. Während des Aushärtungsprozesses sicherte die Stützkonstruktion die Maßhaltigkeit der Schalen, bei denen aufgrund der Zusammensetzung der verwendeten Feinbetone deutlich höhere Kriech- und Schwindneigungen bestehen als bei konventionellen Betonen. Durch die hohe Präzision der Schalen konnten diese später zwängungsfrei auf die Stahlunterkonstruktion eingepasst werden. Die Unterkonstruktionen dienten überdies als "Transportsicherungen", mit deren Hilfe die Textilbetonschalen mit dem Gabelstabler auf einen LKW gesetzt und sicher an die Baustelle vor dem ITA geliefert werden konnten.
Stählerne Unterkonstruktion
Die Textilbeton- Dachschalen der Fahrradüberdachung besitzen eine tragende Unterkonstruktion aus Stahl. Für Planung und Ausführung zeichnete das Stahlbauunternehmen Krings & Sieger verantwortlich. Die vier Stützen, die zwei großen Längsträger, die Queraussteifungen und die Schalenauflager wurden in der Dürener Werkstatt der Firma vorgefertigt und mit einen Tieflader an die Baustelle geliefert. Jeweils zwei Stützen waren vorab an einem Längsträger zu einem Rahmen verschweißt worden, so dass diese nur auf die vorgesehenen Fundamente gestellt werden mussten. In Vorbereitung hierzu hatten die Handwerker an den Fundamenten jeweils zwei Bohrungen erstellt, in die sie Gewindestangen mit Epoxidharzmörtel einklebten. Dann wurden mittels eines Autokrans zunächst die beiden Stahlrahmen präzise über die Gewindestangen gehoben, abgelassen und anschließend mit den Fundamenten verschraubt. Nach einer abschließenden Höhenjustage wurden die Fußpunkte der Stahlrahmen mit Vergussmörtel unterfüttert. Als wichtige Vorbereitung für die Montage der Dachschalen wurden dann die auf den Längsträger sitzenden geneigten Schalenauflager ausgerichtet, welche die späteren Haltepunkte für die Textilbetonschalen darstellen. Hierfür waren sowohl in den Schalenauflagern als auch in dem horizontalen Doppel- T- Trägerprofil Langlöcher für eine präzise Justage vorgesehen.
Montage der Textilbetonschalen
Die Montage der Textilbeton- Dachschalen auf dem Stahlunterbau war Aufgabe der ebenfalls in Düren ansässigen Montagefirma Oehmen, die am Aufbautag Hand in Hand mit der Stahlbaufirma zusammen arbeitete. Die Anlieferung der Dachelemente erfolgte bereits am Vortag durch den Düsseldorfer Schalenhersteller und erlaubte es, die Stützkonstruktionen an den Auflagerpunkten bereits zu entfernen und so die Anschlagspunkte freizulegen.
Am Montagetag wurden dann die fünf Schalen mit einem Autokran an ihre endgültige Position gehoben. Um dieses möglichst schonend für die Betonelemente durchzuführen, wurde vom IMB ein Tragekreuz aus stabilen Doppel- T- Trägern erstellt. Davon hingen zwei bügelartige Schlaufen herab, welche die Monteure neben den späteren Fixierpunkten um jede Schale legten. Dann hob der Kran das rund 420 kg schwere Fertigteil sachte an und schwenkte es – wie eine Marionette an dem Stahlkreuz hängend – über die zukünftigen Auflager. Dort stand an jedem dieser vier Punkte ein Monteur bereit, um es passgenau in die Halterungen gleiten zu lassen und anschließend mit der Unterkonstruktion zu verschrauben. Die L-förmigen Haltepunkte der Textilbetonschalen weisen eine Neigung gegenüber der Horizontalen von 40° auf, die sich aus der Tangentialen zur Schalenrundung in Höhe der Befestigungspunkte ergibt. Die unteren Kanten der Betonelemente liegen bündig innerhalb der beiden Schenkel des L-förmigen Haltepunktes auf einer Breite von 110 mm auf dauerelastischen Elastomerpolstern auf. Über die tangential und radial zur Schale orientierten Elastomerlager können die am Auflager auftretenden Druckkräfte sicher in die Schalenauflager eingeleitet werden.
Zur Vergleichmäßigung der Auflagerpressung wurden in den 20 mm starken Schalenkanten an den entsprechenden Bereichen Flachstahlstücke einbetoniert. Wichtig war hier, dass diese Profile nur flächig anliegen und nicht wie eine Profilschiene eingegossen wurden. Dieses hätte bedingt durch die anfallende Last unweigerlich zur Aufspreizung, d.h. zur Spaltung der Betonschale an dieser Stelle geführt. Eine solche Fixierung ist aber auch gar nicht erforderlich, da diese Stellen in der Endposition der Schalen ohnehin planmäßig überdrückt sind, so dass sie dauerhaft in ihrer Position gehalten werden. Die Abhebekräfte, die auf die Schale einwirken, insbesondere aus Windbeanspruchung, werden an den Auflagern über das Verbindungsmittel eingeleitet. Dieser Detailpunkt wurde vom IMB dabei so konzipiert, dass die Druckkräfte über die Elastomerlager und nicht durch das Verbindungsmittel aufgenommen werden. Herr Scholzen weist darauf hin, dass so die hohe Druckfestigkeit von Textilbeton für die Lagerung optimal ausgenutzt werden konnte, wodurch die angestrebte Dünnwandigkeit der Schale überhaupt erst möglich wurde.
Keine Oberflächenversiegelung
Wie eingangs erwähnt, wurde für die Textilbetonschalen ein hochfester Feinbeton eingesetzt, der aufgrund seines dichten Gefüges und seiner glatten Betonoberfläche auch ohne weitere Beschichtung wasserundurchlässig und witterungsbeständig ist. Gleichwohl die Schalenscheitel horizontal ausgerichtet und mit ihrer Rundung ohnehin dem UV-reichen Sonnenlicht in annähernd senkrechter Position ausgesetzt sind, wird daher ein Schutzanstrich als nicht erforderlich erachtet und ist auch nicht vorgesehen. Das funktionale Konzept sieht vor, dass das Regenwasser einfach die Schalen entlang in sechs kastenförmige Regenrinnen fließt. Dort wird es gesammelt und zu Fallrohren geführt, die regulär an das Kanalnetz angeschlossen sind.
Man(n) steht auf Beton
Obwohl die nur 2 cm dünnen Betonschalen ausgesprochen fragil erscheinen, sind sie in ihrer Endposition doch stabiler als man dies erwartet. So sind diese in der Lage, auch hohe Verkehrslasten abzutragen, die aufgrund der gewählten Geometrie der Dachschalen etwa durch Schneeanhäufungen und Wind auftreten können. Dass diese durch die textile Karbon- Bewehrung aber sicher aufgenommen werden, davon sind die planenden Ingenieure überzeugt. So wurden zuvor im Rahmen des Forschungsprojektes zahlreiche Materialuntersuchungen durchgeführt, die Tragfähigkeit berechnet und die Belastbarkeit anschließend anhand eines Prototyps im Großversuch unter Beweis gestellt.
Auf Frage des Autors, ob es denn dann nicht erforderlich wäre, die Schalen für die Zeit der ebenerdigen Lagerung auf der Baustelle (eine Nacht) vor Vandalismus, also etwa vor herumtobenden Kindern zu schützen, winkten die Ingenieure daher nur ab, wohl wissend, dass die Schale unter Vertikalbelastung mehr als 10 t tragen kann. Tatsächlich haben sie sich selbst auch auf den Protoytypen gestellt – und nichts ist passiert!
Robert Mehl, Aachen