Projektart:
Anfrage:
per mail ✉
Objekt:
Typ:
Gemeindezentrum / Kirche
Ort:
Aachen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Weinmiller Großmann Architekten 🔗, Berlin
Materialien:
Publiziert:
SBD 01/2020
Seiten:
72 - 81
Inhalt:
Evangelische Genezareth- Kirche, Aachen
Indirekte Erleuchtung
Tief im Aachener Westen wurde 2018 die evangelische Genezareth- Kirche eingeweiht. Sie ersetzt zwei Kirchen, deren Gemeinden fusionierten. Der an einer vielbefahrenen Straße gelegene Kirchenraum weist keine Fenster auf und wird allein über Lichtschächte indirekt belichtet.
Es gibt sie auch in der heutigen Zeit: Kirchenneubauten. Entgegen dem allseits beklagten Trend der Kirchenschließungen ist die grenznah im Aachener Westen gelegene Genezareth- Kirche, nach St. Marien in Horumersiel- Schillig und St. Matthäus in Bremen bereits der dritte, nach 2014 entstandene Kirchenneubau, den der Autor kennt. Es passt dann wieder, dass ihr Bedarf aus der Zusammenlegung zweier evangelischer Gemeinden im Rahmen des Prozesses „Zukunft im Dialog“ erwuchs, und der rd. 5,2 Mio. Euro teure Bau weitgehend über den Verkauf der beiden in Aachen aufgegebenen Kirchenimmobilien, dem Dietrich- Bonhoeffer- Haus und der Arche finanziert wurde.
Errichtet wurde der Siegerentwurf eines Architektenwettbewerbes, den 2012 das Berliner Büro Weinmiller Großmann Architekten gewonnen hatte. Die Planer entwarfen einen Kirchenraum mit zahlreichen, kerbenartig in die Seitenfassade eingeschnittenen Oberlichtern, jedoch ganz ohne Fenster. Der stilistisch sehr zurückgenommene Innenraum wird allein indirekt durch Lichtschächte illuminiert. Dennoch übernimmt das Berliner Büro bewusst Elemente des klassischen Kirchenbaus und Architektin Gesine Weinmiller erläutert:
„Es gibt ein Hauptschiff, den Obergaden, die Seitenschiffe und die Apsis. […] Alle diese Bauteile werden indirekt belichtet, so dass eine sehr besondere Lichtatmosphäre entsteht. Der Besucher der Kirche wird vom diffusen Licht umfangen und es entsteht ein Raumeindruck, den er nicht kennt. Diese Neuformulierung des sakralen Raumes war Grundanliegen der Konzeption.“
Nun finden sich keine expliziten Details, die unmittelbar benannt werden könnten, allerdings erinnert die Architektur in ihrer geometrischen Klarheit und in ihrer abstrakten Stringenz an die Sakralbauten von Rudolf Schwarz, dem großen Aachener Architekten der Frühen Moderne, und vor allem an die Kirche St. Fronleichnam im Aachener Osten. Genau wie bei diesen Bauten wird bei der Genezareth- Kirche der sakrale Formenkanon in geometrischer Weise reduziert, verdichtet und in die Moderne überführt.
Weinmiller Großmann Architekten beschränken sich aber nicht nur auf den sakralen Innenraum; sie stellen der Kirche einen Kampanile mit zwei Glocken (Schlagtöne F und Des) an die linke Seite und fügen rechts ein Gemeindezentrum an.
Dieses umfasst einen kleinen Innenhof, um den die interne Erschließung geführt ist. Bewusst haben hier die Architekten die klösterliche Ikonographie aufgegriffen und Architekturfiguren von Quadrum und Kreuzgang adaptiert, bei denen letzterer einen quadratischen Innenhof umschließt. Von diesem Umgang zugänglich ist ein Speisesaal mit Küche, der über besagtes Quadrum hinweg in räumlicher Opposition zum Kirchenraum steht: Von seiner Ensembleposition könnte dies durchaus als ein klösterliches Refektorium aufgefasst werden. Quer dazu weist eine zweite Achse wieder über den Innenhof vom Haupteingang hinweg zu einem teilbaren Gemeindesaal. Den Saal dieser Logik folgend als Kaptitelsaal anzusprechen, erscheint ebenfalls legitim. Tatsächlich wäre damit die Ordnung des ältesten Klosterplans, entstanden in St. Gallen, gewahrt oder zumindest in moderner Weise neu interpretiert, da die vorgegebenen Himmelsrichtungen hier nicht ganz übereinstimmen.
Hinter dem zur Vaalserstraße hin orientierten Gemeindezentrum liegt ein eingezäunter, nicht öffentlicher Garten. Eine mittige, größere Rasenfläche bietet sich für Gemeindefeste an, es gibt zudem eine vor den Wetterlaunen schützende Veranda, auch finden sich seitlich und im hinteren Gartenbereich ruhige Zonen für kontemplative Momente.
Die Fassade der Kirche besteht aus einer sorgsam gemauerten Vormauerschale aus gelben Ziegelsteinen, ein im Rheinischen nicht so allgegenwärtiger Baustoff. Allerdings stellt sich damit unwillkürlich ein Bezug zur Kölner Kolumba ein, dem 2007 fertig gestellten Zumthor'schen Diözesanmuseum. Die Kolumba, nominell ein Profanbau, kann jedoch ihren sakralen Bezug nicht verleugnen und strahlt insbesondere in ihrer äußeren Anmutung eine gemauerte Würde aus. Erreicht wurde dies seinerzeit vor allem durch einen handwerklich sehr bewussten Umgang mit hellen Ziegelsteinen, dem Arbeiten mit Rollschichten und der Fugenführung. Eine vergleichbare konstruktive Grundkenntnis, wie auch ein tiefes Verständnis der Planer für das Material findet sich an der Aachener Genezareth- Kirche wieder. Tatsächlich erscheint der Bau von Weinmiller Großmann Architekten damit in seinem äußeren wie inneren einerseits kompromisslos und formal unbeugsam; er ist aber genau damit auch vollkommen zeitlos, auf seine Weise modern und damit absolut stimmig für einen Sakralbau.
Robert Mehl, Aachen
Errichtet wurde der Siegerentwurf eines Architektenwettbewerbes, den 2012 das Berliner Büro Weinmiller Großmann Architekten gewonnen hatte. Die Planer entwarfen einen Kirchenraum mit zahlreichen, kerbenartig in die Seitenfassade eingeschnittenen Oberlichtern, jedoch ganz ohne Fenster. Der stilistisch sehr zurückgenommene Innenraum wird allein indirekt durch Lichtschächte illuminiert. Dennoch übernimmt das Berliner Büro bewusst Elemente des klassischen Kirchenbaus und Architektin Gesine Weinmiller erläutert:
„Es gibt ein Hauptschiff, den Obergaden, die Seitenschiffe und die Apsis. […] Alle diese Bauteile werden indirekt belichtet, so dass eine sehr besondere Lichtatmosphäre entsteht. Der Besucher der Kirche wird vom diffusen Licht umfangen und es entsteht ein Raumeindruck, den er nicht kennt. Diese Neuformulierung des sakralen Raumes war Grundanliegen der Konzeption.“
Nun finden sich keine expliziten Details, die unmittelbar benannt werden könnten, allerdings erinnert die Architektur in ihrer geometrischen Klarheit und in ihrer abstrakten Stringenz an die Sakralbauten von Rudolf Schwarz, dem großen Aachener Architekten der Frühen Moderne, und vor allem an die Kirche St. Fronleichnam im Aachener Osten. Genau wie bei diesen Bauten wird bei der Genezareth- Kirche der sakrale Formenkanon in geometrischer Weise reduziert, verdichtet und in die Moderne überführt.
Weinmiller Großmann Architekten beschränken sich aber nicht nur auf den sakralen Innenraum; sie stellen der Kirche einen Kampanile mit zwei Glocken (Schlagtöne F und Des) an die linke Seite und fügen rechts ein Gemeindezentrum an.
Dieses umfasst einen kleinen Innenhof, um den die interne Erschließung geführt ist. Bewusst haben hier die Architekten die klösterliche Ikonographie aufgegriffen und Architekturfiguren von Quadrum und Kreuzgang adaptiert, bei denen letzterer einen quadratischen Innenhof umschließt. Von diesem Umgang zugänglich ist ein Speisesaal mit Küche, der über besagtes Quadrum hinweg in räumlicher Opposition zum Kirchenraum steht: Von seiner Ensembleposition könnte dies durchaus als ein klösterliches Refektorium aufgefasst werden. Quer dazu weist eine zweite Achse wieder über den Innenhof vom Haupteingang hinweg zu einem teilbaren Gemeindesaal. Den Saal dieser Logik folgend als Kaptitelsaal anzusprechen, erscheint ebenfalls legitim. Tatsächlich wäre damit die Ordnung des ältesten Klosterplans, entstanden in St. Gallen, gewahrt oder zumindest in moderner Weise neu interpretiert, da die vorgegebenen Himmelsrichtungen hier nicht ganz übereinstimmen.
Hinter dem zur Vaalserstraße hin orientierten Gemeindezentrum liegt ein eingezäunter, nicht öffentlicher Garten. Eine mittige, größere Rasenfläche bietet sich für Gemeindefeste an, es gibt zudem eine vor den Wetterlaunen schützende Veranda, auch finden sich seitlich und im hinteren Gartenbereich ruhige Zonen für kontemplative Momente.
Die Fassade der Kirche besteht aus einer sorgsam gemauerten Vormauerschale aus gelben Ziegelsteinen, ein im Rheinischen nicht so allgegenwärtiger Baustoff. Allerdings stellt sich damit unwillkürlich ein Bezug zur Kölner Kolumba ein, dem 2007 fertig gestellten Zumthor'schen Diözesanmuseum. Die Kolumba, nominell ein Profanbau, kann jedoch ihren sakralen Bezug nicht verleugnen und strahlt insbesondere in ihrer äußeren Anmutung eine gemauerte Würde aus. Erreicht wurde dies seinerzeit vor allem durch einen handwerklich sehr bewussten Umgang mit hellen Ziegelsteinen, dem Arbeiten mit Rollschichten und der Fugenführung. Eine vergleichbare konstruktive Grundkenntnis, wie auch ein tiefes Verständnis der Planer für das Material findet sich an der Aachener Genezareth- Kirche wieder. Tatsächlich erscheint der Bau von Weinmiller Großmann Architekten damit in seinem äußeren wie inneren einerseits kompromisslos und formal unbeugsam; er ist aber genau damit auch vollkommen zeitlos, auf seine Weise modern und damit absolut stimmig für einen Sakralbau.
Robert Mehl, Aachen