Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Kongresszentrum
Ort:
Zürich [Satellit]
Staat:
Schweiz
Architekt:
Riken Yamamoto 🔗, Yokohama
Materialien:
Betonfertigteile
Publiziert:
Beton Bauteile 2023 (Interview)
Seiten:
90 - 95
Inhalt:
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Interview mit Ing. Bmst. Martin Dobler, Projektmanager Betonfertigteilbau

Baumeister einer versteckten Pyramide

 
Worin bestand Ihre Tätigkeit als Projektmanager im Betonfertigteilbau bei dem Projekt „The Circle“ am Flughafen Zürich?
Bei diesem Projekt würde ich lieber mit dem Begriff „Fachbauleiter“ arbeiten, weil ich dort nicht nur gemanagt habe, sondern vor allem mein technisches Fachwissen einbrachte. Es machte bei diesem Projekt Sinn, einen dezidierten Fachmann einzubinden, da die Komplexität der Aufgabe weit über das Normale hinausging. So wurde bei der Planung und Statik der Betonfertigteilkonstruktion, der Baustellenplanung, der Ausschreibung, der Vergabe und der Überwachung Spezialwissen abgefragt, das ein breit aufgestellter Baufachmann in der Regel nicht besitzt. Der Fokus meiner Tätigkeit lag in der Gliederung der Konstruktion in einzelne Betonfertigteile, der statischen Berechnung, der Planung der der Verbindungen und die Montageplanung unter Berücksichtigung der Baustellensituation.
Aber Sie arbeiten nicht ausschließlich als Fachbauleiter?
Nein, ich arbeite als Consultant, die Fachbauleitung ist nur ein Teil meiner Tätigkeit. Daneben erbringe ich komplette Planungen ganzer Betonfertigteilwerke und biete allgemeine Beratungen zu Bausystemen mit Betonfertigteilen an. Als Fachbauleiter berate ich häufig Architekten und Ingenieure zu speziellen Aufgabenstellungen. Das sind meist keine Standards und auch keine Tragkonstruktionen aus Bindern, Trägern und Stützen: Es handelt sich überwiegend um Fragen zu Fassadenkonstruktionen. In vielen Fällen geht es darum, in welcher Reihenfolge ein Bauablauf erfolgen soll, wie kleinteilig gewisse Elemente anzulegen sind oder wie Elemente optimal zusammengefasst werden können. Gerne fragen Architekten dabei mein Fachwissen schon im Entwurfsstadium ab.
Was waren Ihre großen Fragen beim Circle- Projekt?
Eine der ersten Fragestellungen war, ob diese Betonfertigteilkonstruktion noch vor dem allgemeinen Rohbau zu errichten war. Also ob man den Pyramidenstumpf zu allererst auf einer freistehenden Bodenplatte errichtet und dann ringsherum den weiteren Rohbau in Ortbeton erstellt. Nach eingehender Prüfung empfahl ich den ausgeführten umgekehrten Weg: zuerst die Erstellung des umgebenden Rohbaus und dann das nachträgliche Einfädeln der Fertigteile durch das Oberlicht. So konnten alle schmutzintensiven Arbeiten, aber auch alle Installationsleitungen vorher verlegt werden. Dafür nahm man bewusst die Erschwernis in Kauf, die tonnenschweren Elemente mit einem besonders großen Baukran einzuheben und dann mit Spezialstaplern in die geforderte Neigung zu kippen und zur Seite unter den vorkragenden Rohbau zu verfahren, wo sie erst temporär fixiert und dann dauerhaft montiert wurden. Die nächste Frage war, ob die Konstruktion dauerhaft an den Rohbau angehängt werden oder ob sie sich selber tragen soll: Wieder empfahl ich die ausgeführte zweite, selbstständig stehende Variante. Eine dritte, sehr wichtige Frage lautete, wie kleinteilig die eigentlichen Betonfertigteile auszuführen sind. Es war möglich, den Pyramidenstumpf – wie geschehen – aus wenigen großen, jedoch tonnenschweren Elementen zusammenzufügen. Es wäre aber auch denkbar gewesen, die Geometrie aus zahllosen einzelnen Betonsparren zu erstellen. Dafür wäre nur ein erheblich kleinerer Kran erforderlich gewesen, aber die Montagezeit hätte sich dabei vervielfach und die zwischen den einzelnen Elementen erforderlichen Verbindungen hätten einen hohen finanziellen Aufwand mit sich gebracht.
Was waren die Gründe für die nun ausgeführte Bauweise?
Der Hauptgrund war, dass die dahinterliegende Ortbetonkonstruktion bei einem nachträglichen Einbau der Fertigteilpyramide besser zu errichten war. Die Rohbauwände sind ja nicht schräg, sondern dreifach abgestuft. Die aufgehenden Geschosse kragen jeweils über dem darunterliegenden um eine Gebäudeachse, also um 2,70 m vor. Hierfür hätte eine Ortbetonschalung erstellt werden müssen, die man zwischen den Betonsparren des Pyramidenstumpfes hindurch hätte abstützen müssen. Beschädigungen dieser Sparren, die komplett unbehandelt bleiben sollten, oder Verfärbungen durch austretendes Betonwasser wären quasi unvermeidlich gewesen. Erschwerend kam hinzu, dass die Sparren aus Weißzement bestehen und scharfe Kanten aufweisen. Hätte man nun den Pyramidenstumpf zu allererst gebaut, dann hätte allein die sicherlich wochenlang dauernde Regenexposition auf den unbehandelten Sichtbetonflächen zu irreparablen Schäden geführt. Schlussendlich hätte man die Elemente streichen müssen, was nicht im Sinne des Architekten war.
War denn das Oberlicht geschlossen, wenn keine Betonelemente eingefahren wurden?
Das Oberlicht war zunächst durchgehend offen. Allerdings wurden die Betonbauteile nach ihrem Einschweben sofort mit Spezialstaplern unter die vorkragenden Wände an ihre endgültigen Standorte transportiert. Regenwasser konnte so nur deren oberste Punkte erreichen. Es wurden erst alle Wände montiert und danach folgten die horizontalen Deckenbinder. Nachdem schließlich auch diese eingehängt waren, wurde darauf eine temporäre Holzschalung und Kunststoffabdichtung aufgebracht und der zukünftige Saal so abgedichtet. Das war die Phase, in der dort unter Kunstlicht gearbeitet wurde.
Das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Bauleiter des Generalunternehmers HRS, Herrn Fabian Landolt, war das zweier gleichberechtigter Partner?
Herr Landolt und ich haben sehr gut zusammengearbeitet. Wann immer er es für notwendig hielt, war ich vor Ort. Das begann mit den Planungsbesprechungen, den Vergabegesprächen, der Beurteilung der Varianten und der Lösungsansätze der Anbieter bis hin zur Entscheidung, wer den Auftrag bekommt. Im nächsten Schritt galt es, die Planunterlagen dieser Unternehmer zu prüfen. Das habe ich zusammen mit Herrn Landolt und dem für die Ausführungsplanung zuständigen Architekturbüro Richter - Dahl Rocha & Associés architectes SA aus Lausanne durchgeführt. Meine Aufmerksamkeit galt dabei vornehmlich den Verbindungsdetails, der Schmutzwasservermeidung und der Vergussbetonage der Anschlussdetails. Zu prüfen hatte ich aber z.B. auch, ob die Bewehrung an der richtigen Stelle sitzt oder ob die Norm für die Betonüberdeckung eingehalten wurde.
Haben Sie Papierausdrucke oder CAD- Pläne am Rechner geprüft?
Die Pläne erhielt ich in der Regel über die Projektleitung als PDF; diese habe ich dann am Computer geprüft. Es gibt immer viele verschiedene Möglichkeiten des Datenaustauschs. Aber auch in einer Zeit von Building Information Modeling (BIM) hängt es immer noch davon ab, wie modern derjenige aufgestellt ist, der von allen Beteiligten der am wenigsten fortschrittliche ist. Es gilt, sich am Schwächsten zu orientieren.
Hatte das Büro Yamamoto explizit die Betonfertigteilbauweise vorgeschrieben?
Nein, die Vorgabe war, dass echter, scharfkantiger Beton verwendet werden sollte und kein Fake. Ob die Ausführung nun in Fertigteilen oder als Ortbetonbau erfolgte, war dem Büro Yamamoto im Prinzip einerlei. Eigentlich sollte der Pyramidenstumpf sogar fugenlos ausgeführt sein, was aber mit Blick auf die gewünschte Oberflächenbeschaffenheit nicht realistisch war. Mit den Betonfertigteilen haben wir zwar jetzt Fugen, jedoch eine erheblich bessere Ausführungsqualität als mit einer Ortbetonlösung.
Wie oft waren Sie etwa an der Baustelle?
Ich schätze, dass ich zwanzigmal vor Ort war. Die meiste Zeit nahm die Planung der Konstruktion und die Ausschreibung in Anspruch, die ich aber in meinem eigenen Büro erledigen konnte. Vor Ort fanden die Planungsgespräche sowie die Ausschreibungs- und Vergabegespräche statt. Während der Bauphase war ich seltener vor Ort. Natürlich war ich beim Setzen der ersten Betonfertigteile anwesend. Bei weiteren Terminen ging es etwa um die Montagegenauigkeit, um das Setzen von Vermessungspunkten für die Bauüberwachung und natürlich um die Schlussabnahme.
Realisiert wurden in den mittleren Pyramidenabschnitten die großen Standardmodule, in den Ecken wurde mit kleineren Passstücken operiert. Wie kam es dazu?
Die Lösung ergab sich zwangsläufig: Wenn man die Oberfläche eines Pyramidenstumpfes in vertikale Flächen aufteilt, dann ergeben sich in den Mittelbereichen Rechtecke und entlang der Grate Dreiecke. Diese Aufteilung war durchaus ein Puzzlespiel, bei dem festzulegen war, wieviele Sparrenabschnitte ein kleines Dreieckselement erhält, bevor man eine Fuge setzt.
Und diese Elementaufteilung haben auch Sie persönlich gemacht?
Ja! Die Aufteilung ergab sich aus dem von mir entwickelten Raster. Es basierte auf der maximalen Lieferbreite eines Schwertransporters. Der Architekt hatte zudem den Sparrenabstand definiert. Aus beidem ergab sich eine maximale Sparrenzahl, die ein Modul breit sein konnte, nämlich vier Stück. Dies fortgeführt in die Ecken ergab automatisch die Formate dieser „Zwickelelemente“.
Waren Sie froh, dass der Architektenentwurf ein Basismodul zuließ, das vom Kopf- bis zum Fußpunkt reichen konnte und dennoch transportabel war?
Das stimmt! Wenn man die Eckdetails weglässt, dann sind sicherlich zwei Drittel der Gesamtlösung recht einheitlich ausgefallen: Prinzipiell sind alle Bauteile gleich, die großen Module unterscheiden sich effektiv nur an den Durchgangsöffnungen im Sockelbereich.
Sind die Oberflächen hydrophobiert worden?
Die Oberfläche ist schalungsglatt und wurden werkseitig massenhydrophobiert. Großen Wert haben wir dagegen auf Schutzmaßnahmen während der Bauzeit gelegt und diese explizit ausgeschrieben. So waren alle Elemente bis auf eine Höhe von 2,00 m über dem Boden zu schützen. Auch wie dies genau zu erfolgen hatte, war von uns festgelegt. In der Fertigteilausschreibung verpflichteten wir zudem die Auftragnehmer zur Abdichtung des temporären Holzdaches und zu dessen Entwässerung ohne Aufpreis.
Bevor sich die Pyramidenelemente selber stützten, mussten die geneigten Elemente temporär an den aufgehängten Wänden befestigt werden. Waren diese dafür ertüchtigt?
Durchgerechnet haben wir das natürlich, aber das waren relativ kleine Kräfte, die die Hauptkonstruktion problemlos aufnehmen konnte.
Wie stellte die Sulzer AG die Betonfertigteile her?
Das war eine ganz normale Standproduktion. In ihrem Werk wurden die Holzschalungen direkt auf der Bodenplatte aufgebaut. Es gab fünf Schalungen, deren Produktion nebeneinander lief. Allerdings ergab sich nicht der in einem Fertigteilwerk übliche Ein- Tages- Rhythmus: Die Produktion eines Elementes dauerte zwei bis drei Tage. Die Ursache dafür lag in der Einzelbewehrung der Betonsparren und dem Einlegen zahlreicher Einbauteile. Dabei handelte es sich vor allem um Leerrohre für die Sprinkleranlage und Aussparungen für die integrierte Lichttechnik. Zu beachten war auch der richtige Moment des Ausschalens. Es musste eine ausreichende Aushärtung gegeben sein, damit keine Kantenabplatzungen auftraten.
Gab es bei dem Projekt Überlegungen, mit Carbonbewehrung zu arbeiten?
Diese Frage stellte sich nicht, da der Architekt die massiven Querschnitte vorgegeben hatte – wir mussten nicht schlanker werden! In einem 16 cm breiten Steg kann man problemlos eine normale Bewehrung unterbringen. Eine einfache, schlaffe Stahlbewehrung ist immer noch wesentlich günstiger als andere Lösungen. Dazu ist bei einer Carbonbewehrung immer noch eine Zulassung im Einzelfall erforderlich, was einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand darstellt.
Zum Schluss noch ein Themawechsel: Neben der Fachbauleitung bieten Sie auch Werksplanung an. Was beinhaltet das?
Das ist mittlerweile mein Kerngeschäft. Ich plane und modernisiere bestehende Betonfertigteilwerke. Dabei lege ich besonderes Augenmerk darauf, die Konzeption sehr spezifisch auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen. In dem Zusammenhang biete ich auch die Erstellung von Planungsleitfäden an. Insbesondere bei der Inbetriebnahme einer automatischen Bewehrungsfertigung muss die Planung und Konzeption der Bewehrung optimal an die Maschine angepasst werden. Für die Berliner CG Elementum AG habe ich ein großes Betonfertigteilwerk im Wert von 50 Mio. Euro realisiert. Aktuell plane ich für dasselbe Unternehmen ein weiteres Fertigteilwerk. Es handelt sich um eine vollkommen neue Anlage mit einem noch nie dagewesenen Automatisierungsgrad. Zudem wird die Wertschöpfungstiefe weit über das normale erhöht.
Sie sind aber nicht der entwurfsverfassende Architekt?
Natürlich sind an den Hochbauten noch Architekten beteiligt, die eine entsprechende Ausführungsplanung machen. Meine Aufgabe besteht in der Konzeption der Anlagentechnik. Ich entwickle das Produktionslayout, lege die Maschinen fest, den Automatisierungsgrad, die Taktzeiten und spezifiziere die Produkte, die dort künftig hergestellt werden sollen.
Sind Sie Architekt oder Bauingenieur?
Ich bin Baumeister – eine österreichische Sonderform. Ein österreichischer Baumeister darf EU-weit Leistungen eines Bauingenieurs, eines Architekten und eines ausführenden Bauunternehmers erbringen.Ich habe mich viel mit Simulationen von Betonfertigteilwerken befasst, solche Untersuchungen sind in der Branche neu, man kennt sie bisher aus der Automobilindustrie. Für beide Industrien gilt: Je komplexer ein fertiges Produkt oder seine Herstellung ist, desto komplexer sind auch die Fahrwege der Produkte durch die Anlage. Diese können Weichen besitzen, an denen sich die Produktionsstrecke teilt; an anderer Stelle kommen diese Stränge wieder zusammen. So eine Simulation habe ich entwickelt. Sie hilft zu erkennen, ob geplante oder bestehende Prozessabläufe bei Veränderung der Produktionsbedingungen effizient funktionieren oder angepasst werden müssen. Es werden Szenarien für unterschiedliche Auslastungen, veränderte Produktverhältnisse, veränderten Leitungen von Maschinen oder die Anzahl der Mitarbeiter, Schichtmodelle, usw. berechnet. Das ist neu! Eine Umsetzung dieses Verfahrens ist bis dato noch nicht in der Baubranche üblich.
Herr Dobler, wir danken für das Gespräch!
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com