Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Stadtmöbel, TU Eindhoven 🔗
Typ:
3D-Druck der TU/e
Ort:
Eindhoven [Satellit]
Staat:
Niederlande
Architekt:
Cristina Nan 🔗 (Wissenschaftlerin)
Materialien:
Vertico 🔗 (3D-Druckdienstleister)
Publiziert:
Beton Bauteile 2023
Seiten:
158 - 165
Inhalt:
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3D- Druck von Stadtmobiliar, TU Eindhoven/NL

Rückkehr des Ornamentalen

An der TU Eindhoven forscht und lehrt Prof. Cristina Nan nicht nur zum 3D- Druck von Beton, sondern auch von Ton. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit sozialen, gesellschaftlichen und nachhaltigen Fragen dieser verhältnismäßig neuen Technologie.
„Nein, das gefällt mir nicht! Wir optimieren ein bisschen die Mischung und drucken die Säule noch einmal!“, urteilt Volker Ruitinga. Er ist Inhaber von Vertico, einer in Eindhoven ansässigen Firma, die sich mit dem großmaßstäblichen Ausdruck von 3D- Objekten beschäftigt. Die Firma ist in diesem Bereich ein bedeutender Dienstleister der TU Eindhoven (TU/e), die in ihren Laboren in der Regel nur kleinere 3D- Drucke ausführt. Ruitingas Einstellung zur Qualität kombiniert mit dem Fachwissen, an was für „Stellschrauben man drehen muss“, ist genau das, was Prof. Cristina Nan als Teil ihrer Forschungen zum 3D- Druck stark interessiert:
Worin besteht der menschliche Einfluss beim 3D- Druck? Alle Welt gibt vor, dass man nur eine Vision haben, einen entsprechenden Plan zeichnen und vielleicht noch einen Algorithmus programmieren muss. Danach kann man sich zurücklehnen, denn der Rest wird von einem Roboter übernommen. Aber dem ist nicht so! Wie bei einem klassischen Handwerk gibt es auch im Materialdruck menschliche Faktoren. Es sind Erfahrungswerte und intuitive Lösungsstrategien des Bedienpersonals nötig, um mit dem Arbeitsgerät – dem Roboter – das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Für Prof. Nan sind solche Intuitionen aber nur schwer in Bedienungsanleitungen abzubilden. Sie zeugen vielmehr von einem tiefen Verständnis von Material und Gerät.
Beispiel: Leichtes Ruckeln
Auf einem ebenen Untergrund startend beginnt der Drucker, eine komplexe Figur abzufahren. Diese sich wiederholende, irgendwie auch kreisende Bewegung erinnert insbesondere während der erdbodennahen Anfangszeit durchaus an eine Carrerabahn, auf der ein Rennwagen einsame Runden dreht. Unterstützt wird dieser Eindruck sicherlich auch durch eine vergleichbare Druckkopfgeschwindigkeit von rd. 17 cm/s. Bei dem Ausdruck, bei dem der Autor anwesend war, beschrieb der Druckkopf an mehreren Stellen eine maximal enge 180°-Kehre, so dass die angelegten Druckstreifen unmittelbar nebeneinander lagen. Allerdings ruckelte der Druckkopf bei einer Kehre regelmäßig, nicht jedoch bei allen anderen. Der darauf angesprochene Maschinenführer erläuterte, dass an dieser Stelle die Fortbewegung des Druckkopfes von einem Roboterarmgelenk auf ein anderes überging. Üblicherweise wird eine Kurvenbewegung überwiegend von einem Gelenk alleine ausgeführt. In dem angefragten Fall war die Bewegungsrichtung unter mechanischen Gesichtspunkten jedoch so ungünstig, dass es dabei zu einem solchen Gelenkwechsel kam. Das Ruckeln entstand durch die interne Überwachung: Die Rechnersteuerung erkennt, dass sich der Arm sich mit dem ersten Gelenk zu weit in die falsche Richtung bewegt hat. Der Impuls wird vom Gelenk zurückgenommen und stattdessen ein anderes Gelenk aktiviert. Diese Korrektur erfolgte im Bereich eines Pixels, also in der maximalen Auflösung und ist am gedruckten Endergebnis nicht nachweisbar. So eine umfassende Kenntnis der Gerätschaft versteht Prof. Cristina Nan unter dem Begriff „intuitives Verständnis“.
Beispiel: Dynamische Mixturkorrektur
Spannend sind auch die Steuermöglichkeiten, die die Techniker nicht nur am Roboter selber, sondern auch bei der dazugehörigen Verfahrenstechnik haben. So wird Volker Ruitinga bei dem neuerlichen Ausdruck der monierten Säule die Mixtur des Druckmörtels on-the-fly, also während des Ausdrucks, ändern und den Härtemittelanteil erhöhen. So werden zunächst die senkrecht aufeinanderliegenden Mörtellagen in normaler Mischung gefahren, ab dem Moment der beginnenden Auskragung und dem Entstehen eines gewissen Lagenversatzes wird der Anteil dieses Additivs erhöht. So will Volker Ruitinga unschönen Unregelmäßigkeiten in der Lagenbildung vorbeugen.
Unterschiedliche Materialeigenschaften
Im Rahmen ihrer Lehre versucht Prof. Cristina Nan, den Studierenden ein Gefühl für die Materialität und das drucktechnisch Mögliche zu vermitteln. Nicht jede am Rechner ersonnene Struktur kann in jedem Material entsprechend umgesetzt werden. An der TU/e führt Nan 3D- Drucke sowohl in Beton als auch in Ton aus, zudem werden Testkörper in Kunststoff ausgeführt. Eine signifikante Eigenschaft des 3D- Betondrucks ist, dass mit den bislang allgemein verfügbaren Robotern kein Stop-and-go- Druck erfolgen kann, sondern kontinuierlich ausgedruckt werden muss. Ein seilartig verwobenes Objekt kann ein herkömmlicher Betondrucker deshalb nicht ausführen; er müsste dafür kurz im Druck absetzen, den Kopf verfahren, um dann an neuer Stelle weiterzudrucken. Mit Ton wäre dies hingegen möglich, da dieser Baustoff andere Materialeigenschaften aufweist. Die gleichen Eigenschaften verhindern aber auch, dass man mit Ton ähnlich scharfkantig wie mit Beton ausdrucken kann. Die gedruckten Tonwülste sind runder und erscheinen weicher in den Formen, zudem besitzen sie glattere Oberflächen. Betonwülste haben infolge des Zuschlags grundsätzlich rauere Oberflächen, doch fallen die erzeugten Formen präziser aus.
Urban Furniture
In dem Hochschulprojekt des Sommersemesters 2022 ließ Prof. Nan ihre Studierenden Urban Furniture, also Stadtmobiliar entwickeln. Allen Objekten gemein ist, das sie die Neugierde von Passanten erwecken und zum Nähertreten einladen sollen; dadurch soll automatisch ein kommunikativer Treffpunkt entstehen. Gleichzeitig war aber auch zu beachten, dass die Entwürfe mit der verfügbaren 3D- Drucktechnologie zu realisieren waren. Dies galt sowohl für die möglichen Geometrien in Abhängigkeit vom Material wie auch für das Erstellen eines geeigneten Algorithmus. Die erwähnten Stop-and-go- Prozesse waren beispielsweise zu vermeiden.
Zwei Objekte wurden schließlich umgesetzt. Zunächst wurde ein Bauteil einer additiv organisierten Sitzlandschaft ausgedruckt. Deren Elemente kann man als einzelne Puzzleteile beschreiben, die ineinander gesteckt werden können. Alternativ können die runden Aussparungen anstatt mit einem Anschlussstück mit einem flachen „Stopfen“, einer vertieften Sitzfläche gefüllt werden. Zwei dieser hockerartigen Stopfen waren bereits ausgedruckt.
Parkbank mit Hüftschwung
Das zweite Objekt kann man sich – bildlich gesprochen – als Zahnpastastreifen vorstellen, der, aufgetragen auf eine Zahnbürste, eine Ausbauchung besitzt. Federico Chiavegati, ein am Entwurf beteiligter Student beschreibt die Idee als eine Synthese der Vorstellungen, die man zum einen vom massiven Material Beton und zum anderen von der gefühlten Fragilität des 3D- Drucks hat. Die Massivität haben er und seine Mitstudierenden in der Großfigur der gerippten Betonwurst dargestellt. Ihre Hoffnung ist, dass diese vielleicht einmal auf einer grünen Wiese liegen und Passanten irritieren wird. Diese Vorstellung geht in die Richtung der Werke des Künstlers Erwin Wurm: So hatte dieser 2003 mit seinem „Fat House“ große Aufmerksamkeit erregt. Dabei handelt es sich um ein kleines Haus, dessen pralle Wände förmlich unter dem überforderten Dach hervorquellen. Dem fragilen Bild des 3D- Drucks wird dagegen an den beiden Stirnseiten Rechnung getragen, die an das Schnittbild einer Orange erinnern. Es gibt zahlreiche radiale Doppelstreben, die vom Zentrum geradlinig nach außen laufen, dort einen gezackten Teilkreis bilden und dann in eine weitere schnurgerade Doppellinie übergehen. Etwa ein Viertelkreis fehlt dieser Orangenscheibenfigur: Diese Kerbe bildet die künftige Sitzfläche.
Technik
Vertico arbeitet mit einem ABB- Roboter, der zusätzlich auf einer Schiene bewegt werden kann. Damit wird sein Aktionsradius von radial etwa 3,50 m in einer Dimension auf über 10 m erhöht. Es wäre also somit leicht möglich, eine Fertigteilwand von ca. 3,50 m Höhe und ca. 10 m Länge zu drucken. Der eigentliche Betondruckkopf ist eine Eigenentwicklung von Vertico. Über einen Schlauch ist er mit einer digital gesteuerten Mischanlage verbunden, in der Druckmörtel kontinuierlich frisch angesetzt wird. Dazu wird aus einem kleinen, unmittelbar danebenstehenden Silo Trockenmörtel über einen Schneckentrieb hinzugegeben und auch weitere Additive – wie Härter – automatisch beigefügt. Immer wieder schaltet sich ein Vibrator zu, der über einen Rütteleffekt dafür sorgt, dass Luft aus der Mischung entweichen kann. Bei dem Projekt Urban Furniture saß auf dem Druckkopf eine Düse mit 18 mm Öffnungsdurchmesser. Mit ihr sind Betonspuren zwischen 20 - 40 mm darstellbar. Hier erzeugte die Anlage einen 26 mm breiten Mörtelstreifen. Die Druckgeschwindigkeit betrug exakt 164 mm/s. Der Druckkopf beschrieb einen geschlossenen Rundkurs, bei dessen Abschluss der Roboter die Düse um den Schichthöhenbetrag anhob und sodann die Figur erneut vollzog. Insgesamt, so schätzen die Techniker, haben sie wohl an dem Tag, an dem die zwei Urban Furniture- Elemente und ein Stützenelement für die TU/e produziert wurden, zwischen 600 - 700 kg Trockenmörtel verarbeitet.
Vier Forschungsstandbeine
Prof. Cristina Nan sieht ihre Forschung auf vier Standbeinen ruhen. Beim relativ weit entwickelten Betondruck konzentriert sie sich auf die Entwicklung von ornamentalen Druckmustern und die Optimierung derselben. Beim Tondruck kann man ihre Arbeit als Grundlagenforschung betrachten; hier überprüft und vertieft sie, was wie überhaupt machbar ist.
Als drittes Thema interessiert sie – wie bereits erwähnt – die humane handwerkliche Komponente. Im Zuge dessen untersucht sie den Einfluss der menschlichen Arbeitskraft und insbesondere des intuitiven Wissens der Techniker auf die Produktqualität. Der vierte und abschließende Bereich betrifft die gesellschaftlichen, soziokulturellen und nachhaltigen Auswirkungen im Zusammenspiel von humanoider und robotischer Arbeitskraft. Sie richtet ihr Augenmerk dabei auf die weiterhin unentbehrlichen menschlichen Unterstützungsarbeiten für den 3D- Druck. So müssen beispielsweise für eine Druckausführung bei Vertico drei Arbeitskräfte anwesend sein: Ein Mitarbeiter kontrolliert die Steuerung, einer steht für kurzfristige Handgriffe an der Druckdüse bereit und ein weiterer behält die Mischanlage im Blick.
Denn die Betondüsen besitzen keine Schließfunktion. Sobald ein Ausdruck beendet ist, stoppt die Pumpe zwar den Vortrieb, infolge des Rohrdrucks tritt aber immer noch eine gewisse Zeit Mörtel vorne aus der Düse aus. Das Material muss von einem Mitarbeiter mit einem Schäufelchen und einem Eimer aufgefangen werden, da es selbstverständlich nicht auf das Objekt tropfen soll. Anschließend ist es seine Aufgabe, den Mörtelschlauch vor dem Erstarren des Materials komplett zu entleeren und natürlich auch den Mischer zu reinigen.
Fazit
Das Teure am 3D- Druck ist weder das verarbeitete Material – das ist tatsächlich verhältnismäßig günstig – noch die Amortisation des Roboters. Kostenintensiv ist auch bei dieser Technologie weiterhin die menschliche Arbeitskraft: Denn es erfordert hochspezialisierte und kompetente Techniker, die wissen, was sie tun.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com