Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Piscina Municipal "Valdesanchuela"
Typ:
Schwimmbad
Ort:
Valdemoro [Satellit]
Staat:
Spanien
Architekt:
Alberto Nicolau, Madrid
Materialien:
Stahl, Glas, Betonfertigteile
Publiziert:
DBZ 10/2007
Seiten:
30 - 37
Inhalt:
[Artikel]  [2]      [Bildstrecke]      
 

Schwimmbad in Valdemoro/E

Der Chlorbrilleneffekt

Die allgemeine Beliebtheit von Hallenbädern in unseren Breiten erklärt sich aus einem Mangel von Sonnenschein. Hallenbäder in Spanien werden zunehmend beliebter aus dem Überfluss desselben. Zudem schätzt man sie in der kalten Jahreszeit: Wenn das Mittelmeer kalt und unwirtlich ist.
Nimmermüde tanzt die Kurve vor den eigenen Augen. Das schützende Glas bricht die Flüssigkeit und lässt den Übergang von dem Liquid zur Atmosphäre als schwingende Phase erscheinen. Kinder können dem Schauspiel stundenlang verfallen, zumeist in jungen Jahren, wenn eine Taucherbrille für sie noch neu und der Strand besonders seicht ist. Erst etwas später, wenn der kleine Mensch mehr Zutrauen zu dem Utensil gefunden hat, taucht er die Gerätschaft vollends unter den Wasserspiegel und beginnt die Welt darunter zu beobachten.
Dieses Erleben des Eintauchens in das Wasser, das Brechen der Wellen am Glas der Schwimmbrille war für den Architekten Alberto Nicolau die Vision, die seinem Schwimmbad in Valdemoro als Entwurfsidee zugrunde liegt. In ihrer realisierten Entsprechung schwebt diese Idee nun als Dach über den Nutzern. Ausgeführt als ein stählernes Raumtragwerk ist es in sieben geschwungene Abschnitte segmentiert, welche wellenförmig gegeneinander verspringen. Die senkrechten Flanken, welche jeweils zwischen diesen Niveausprüngen vermitteln, wurden mit opaken Polycarbonatplatten geschlossen. Das lichtdurchlässige Material mindert einerseits massiv den direkten Sonnenlichteinfall, andererseits ist es gerade im Gegenlicht an seiner südöstlichen Seite noch so transparent, dass sich die wellenförmigen Verläufe der Dachabschnitte wie bei einer Papierlaterne scherenschnittartig überlagern.
Die plakative Tektonik des Bauwerkes dient aber nicht nur der formalen Artikulation seiner Funktion, sondern trägt gleichzeitig dem gegebenen Landschaftsrelief Rechnung. Gelegen an dem Südhang eines sanften Hügels öffnet sich die charakteristische Schauseite zum Tal. Zugleich steigt in der Seitenansicht des Gebäudes die Abfolge der Dachsegmente in subtiler Weise nach Nordwesten an. In der ästhetischen Verschmelzung von Inhaltsangabe und der maßgeschneiderten Reaktion auf den Ort distanziert sich diese Architektur eindeutig von der effektheischenden Beliebigkeit anderer Bauwerke, die ebenfalls ihren Inhalt zum formalen Thema haben. Nichtsdestotrotz dürfte der Planer bewusst mit der Fernwirkung des Gebäudes operiert haben: Nicht fern von dem Objekt durchschneidet eine Schnellstraße das Tal und bindet die Badeanstalt verkehrsgünstig mit einer Ausfahrt an.

Das Gebäude

Der Höhenabfall des Hügels wird durch einen Sichtbetonsockel abgefangen, der weit vor die eigentliche Schwimmhalle reicht, und dessen Plateau Platz für eine großzügige Sonnenterrasse schafft, welche mit Rasen extensiv begrünt worden ist. Sie befindet sich auf einer Höhe mit dem Badebereich, welcher im Spanischen, selbst wenn er in einem Gebäude gelegen ist, als „playa“ – Strand – bezeichnet wird.
Unterhalb des Badekomplexes, dem Sockel vorgelagert, befindet sich der Parkplatz. Er ist so angelegt, dass die abgestellten Fahrzeuge vom Bad aus nicht sichtbar sind und die Besucher stattdessen in die Kronen der ebenfalls dort gepflanzten Bäume blicken. Zur Bergseite lehnt sich die mit Aluminiumpaneelen verkleidete Stahlkonstruktion der Schwimmhalle an einen geschlossenen Baukörper, der mit dunkelblauen Betonfertigteilelementen verkleidet worden ist. An seiner südwestlichen Stirnseite befindet sich der Haupteingang zu dem Badekomplex, der in einem gebäudehohen Foyer mündet. Bewusst spielt der Architekt mit Überraschungseffekten: So ist von der Eingangsebene aus der Badebereich nicht einsehbar. Vielmehr werden hier die Besucher in Sportler und in Zuschauer aufgeteilt: Während die mit dem Gebäude in der Regel vertrauten Sportwilligen pragmatisch über eine Treppe hinab zu den üblichen Funktionsräumen auf das Niveau der Schwimmbecken geführt werden, leitet eine einläufige Treppe die bewegungsmüden Müßiggänger hinauf zum Hochpunkt einer für 500 Besucher ausgelegten Tribüne. Zwei Glastüren führen hier durch eine bis zur Dachkonstruktion geführte Glastrennwand zu den Rängen, die thermisch vom Foyer getrennt werden mussten, da sie im Volumen des Badebereiches liegen.

Die Dachkonstruktion

Bei der Konstruktion des Daches wurden die Fachwerkträger über die 44 m lange Längsseite gespannt. Aufgrund der formal bewusst angestrebten hohen Ausführung des Tragwerkes spielte die Spannweite eine untergeordnete Rolle. So konnten die Außengurte der Träger in 200 mm auf 300 mm starkem Rechteckrohr ausgeführt werden. Die Aussteifungen wurden dynamisch mit quadratischen Querschnitten ausgeführt und variieren zwischen 140 mm und 200 mm. Die eigentliche Dachhaut ist eine Leichtbaukonstruktion mit einem herkömmlichen Aufbau aus tragenden Trapezblechen, einer Glasfaserdämmschicht, Dampfsperre und aufgesetzter Aluminiumdachhaut. Besonders bemerkenswert ist hier jedoch, dass sich der Hersteller in der Lage sah, 44 m lange, dreidimensional vorgeformte Profilstränge zu liefern. Dadurch war es möglich, die gesamte Dachfläche sowohl in der Unter- wie auch in der Aufsicht ohne Querstöße auszuführen. Dies ist sicherlich nicht nur aus ästhetischen Gründen von Vorteil.
Alberto Nicolau nimmt bei seinem Entwurf die altbekannte Formel „Form follows function“ wortwörtlich. Er bezieht dieses jedoch nicht nur auf die formal befriedigende Ausführung von Details, sondern auch auf die eigentliche Aufgabe des Gebäudes. Dass ihm dabei auch noch die perfekte Einbettung in das topografische Umfeld gelingt, ist sein besonderer Verdienst.
Robert Mehl, Aachen