Projektart:
Anfrage:
Objekt:
MuCEM
Typ:
Museum
Ort:
Marseille [Satellit]
Staat:
Frankreich
Architekt:
Rudy Ricciotti 🔗, Bandol
Materialien:
UHPC-Betonfertigteile, Glas
Publiziert:
Beton Bauteile-3 2014
Seiten:
18 - 19
Inhalt:
[Artikel]  [2]  [3]      [Bildstrecke]      
 

Interview mit Tillmann Reichert, Rudy Ricciotti Architecte

Bauhandwerk ist ein ganz großes Thema!

 
Herr Reichert, wie kam es dazu, dass Ihr Büro das MuCEM als UHPC- Konstruktion konzipierte?
Rudy Ricciotti arbeitet seit 1999 mit UHPC, interessiert sich sehr für dieses Material und ist natürlich sehr bestrebt diesen Beton zu nutzen. Es ist ja ein hochtechnologisches Produkt! Er wollte mit dem Baustoff diesmal ein ganzes Gebäude errichten und nicht nur ein Detail. In Deutschland wäre dies schwer durchführbar. In Frankreich mussten wir immerhin auch zwölf bautechnische Sonderprüfungen machen lassen. Bei diesen ging es darum, bisher noch unrealisierte, technische Aspekte zu erkunden und die neuen Technologien so genehmigungs-,wie auch versicherungsfähig zu machen. Das MuCEM ist ein Gebäude, das sehr auf den Aspekt der Innovation konzentriert ist. Wir hatten von Anfang an das Ziel, das Material - also den UHPC – zur Baureife zu bringen.
Das MuCEM erscheint einem Betrachter sehr technoid-vorgefertigt und kaum handwerklich. Dennoch sagen Sie, dass bei dem Neubau dem qualifizierten Bauhandwerk eine Schlüsselrolle zukam. Inwiefern?
Bei diesem Gebäude haben wir im Wesentlichen versucht, einen Bau zu realisieren, der trotz seiner im Prinzip banalen Grundfigur – einem Würfel – eine Konstruktion besitzt, die technisch an der Oberkante des derzeit Machbaren liegt. Zudem wollten wir Räume schaffen, die Emotionen erzeugen und die Freude vermitteln: Freude am Raum, Freude am Bauen, Freude am Bauwerk selber und Freude am Bauwissen –denn Bauhandwerk ist bei uns ein ganz großes Thema!
Um diese ganzen Stützen und diese ganzen Formen zu bauen, braucht man hoch qualifizierte Maurer, Stahlbetonbauer und Ingenieure. Und die finden wir alle hier in der Region um Marseille. Sie besitzen Fertigkeiten, die aus lokalen Kenntnissen entwickelt wurden. Dieses Wissen lebt von den Menschen, die es umsetzen.
Das ist keine CNC- Maschine, die irgendwo etwas ausgefräst hat, sondern das ist wirkliche Berufskenntnis – nennen wir es Fachverstand (lacht) der einzelnen Gewerke. Sie alle zusammen haben darüber nachgedacht, wie man diese ganzen Bauteile herstellen und wie man sie fügen kann. Das ist das besondere, und wenn man heute durch das Gebäude geht, spürt man dieses auch förmlich. Man sieht dem Bau die Anstrengungen an, die zu seiner Realisierung notwendig waren.
Das kann man nicht in China kaufen, man kann es nur selber machen!
Damit ist das Bauwerk auch Teil der lokalen ökonomischen Infrastruktur. Ein ganz essentieller Bestandteil davon ist das eingebrachte vorhandene Wissen und die Forschung.
Heißt das, dass das MuCEM nicht von einem großen, internationalen Baukonzern, sondern von kleineren lokalen Betrieben errichtet wurde?
Das MuCEM wurde zwar von dem internationalen Konzern SPIE als Generalunternehmer gebaut, aber dazu gehören viele mittelständische Betriebe aus der Umgebung von Marseille. Die Betonbaufirma Dumez- Freyssinet etwa ist eine alte Traditionsfirma. Deren Firmengründer Eugene Freyssinet gehört zu den Pionieren der Vorspanntechnik von Beton. Er hat in den 1920er Jahren den Spannbeton mit erfunden, wohl noch etwas vor Wayss& Freytag, die damals damit Furore machten. Bis heute zählt Spannbeton zur Kernkompetenz dieser Firma. In deren Werk im nahen Montpellier wurden die UHPC- Fertigteile hergestellt. So ergaben sich kurze Wege und eine hohe Qualifikation. Und obwohl Freyssinet mittlerweile zu einem großen Konzern gehört, ist das Wissen der Menschen dort ein tradiertes Gut, denn schon seit den 1950er Jahren produzieren sie Betonfertigteile. Das wird bei den Handwerkern von Generation zu Generation weitergegeben und fließt am Ende auch in so ein Bauwerk ein.
Das ist auch das Besondere an dieser Baustelle gewesen: Dass nämlich all die Handwerker, die Meister und die Ingenieure alles Wissen mitbrachten, was sie hatten. Sie tauschten sich unentwegt miteinander aus und am Schluss sind alle mit vielen neue Erkenntnissen und Errungenschaften aus dem Projekt herausgekommen. Das Ganze war eine innovative Experimentalbaustelle! Da wurden wirklich neue Bautechniken entwickelt! Zwar kennt man Spann-, wie Faserbeton. Aber beides zusammen, Betonbau präzise und gleichzeitig massiv vorgespannt: das ist neu! Die Toleranzen stellen eine neue Dimension dar! Der normale Rohbauer arbeitet für gewöhnlich mit einer Toleranz von 3-4 mm, der Fertigteilbauer setzt eine Toleranz von 0,5 mm an. Das will abgestimmt sein, um am Ende alles über alles 1 mm zu haben.
Wir danken für das Gespräch!
Robert Mehl, Aachen