Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Kunsthaus Graz
Typ:
Ausstellungsgebäude
Ort:
Staat:
Österreich
Architekt:
spacelab 🔗, P. Cook, C. Fournier, London
Materialien:
Stahl, Acrylglass
Publiziert:
DBZ 03/2004
Seiten:
38 - 41
Inhalt:
[Artikel]      
 

Das Kunsthaus in Graz/A

Neues Herz der Stadt

Das eben fertiggestellte Kunsthaus in Graz drängt die bisherigen Landmarken der zum Weltkulturerbe erhobenen Stadtsilhouette ein wenig in den Hintergrund. Wie viel Solitär darf eigentlich sein?
Der Infarkt der urbanen Monotonie ist im österreichischen Graz sicher abgewendet: Nach knapp dreijähriger Bauzeit hat die Stadt ihr neues Kunstherz eingepflanzt bekommen. Die unter dem Label „Spacelab“ firmierenden britischen Stadtchirurgen Colin Fournier und Peter Cook haben das künftige kulturelle Zentralorgan der steirischen Landeskapitale direkt neben dem ältesten Stahlskelettbau Europas, dem „Eisernen Haus“ implantiert. Konsequent kappten sie dabei alle architektonischen Achsen: Keine Häuserflucht, keine Traufhöhe verbindet den amorphen Solitär mit seinem Umfeld. Seine Aufgabe ist entsprechend: Der Bau hat keine eigene Sammlung; er soll in erster Linie dem internationalen Ausstellungszirkus als Station dienen.

Der Weg

Aufgelagert auf schmalen Stützen schwebt der dunkle Bubble auf seinem foyerartigen, gläsernen Erdgeschoss. Ein langes, ansteigendes Laufband, „Pin“ genannt, saugt gleich dem Rüssel eines Insektes alle Neugierigen in den Bauch des vielfach zitierten „friendly alien“.
Den Besucher erwartet dort eine rund 2 500 m² große Wechselausstellungsfläche. Sie ist verteilt auf drei Ebenen. Von dem obersten Level gelangt der Gast zur „Needle“, einem lang gestreckten, tangential zur Blase verlaufenden Aussichtsraum. Ein Vergleich zu einer Schiffsbrücke liegt nahe – erwartet doch den Schaulustigen in gut 15 m Höhe ein fulminanter Ausblick auf die mittelalterliche Stadt an der Mur. Das mustergültig sanierte „Eiserne Haus“ erreicht man von der mittleren Ausstellungsebene des Kunsthauses über einen Verbindungssteg. In dem denkmalgeschützten Ensembleteil befinden sich die Verwaltungseinheiten sowie weitere in dem Komplex untergebrachte Institutionen.

Die Schale

Die fragil als „Skin“ bezeichnete Außenhaut hat sich im Zuge ihrer Realisierung mehr und mehr zu einem robusten Panzer gewandelt: Zunächst als homogene, lichtdurchlässige Laminatschale angedacht, wurde sie schließlich als selbsttragende Sandwichkonstruktion realisiert. Auf die Teflon beschichteten, sphärisch gekrümmten Dreieckselemente wurden von außen 970 konventionelle, ringförmige 40 W- Leuchtstoffröhren montiert. Diesen zum Schutz und als letzte durchschimmernde Referenz zum ursprünglichen Entwurf wurde den Lampen eine Acrylglasebene vorgelagert. Entwickelt vom Berliner Lichtplanungsbüro „realities:united“ bilden die leuchtenden Bullaugen die Matrix eines groben „Ganzkörperdisplays“. Angesteuert über einen zentralen Rechner wird die Hülle in medialer Erleuchtung inszeniert.
Auf dem Gebäuderücken kann man unzählige Plexiglaszapfen entdecken: Die transparenten Stachel sind Schneehaken für den Winter. Ungewohnt an einer Außenfassade sind auch die Sprinklerdüsen in den Kreuzfugen der Acrylscheiben. Als Teil einer „automatisierten Löschhilfe“ versprühen sie im Brandfalle Wasser. So soll die tragende Gebäudemembran gekühlt werden, um sie vor einem vorzeitigen Kollaps zu bewahren.
Bekrönt wird das Objekt von „Nozzeln“, organisch geformten Oberlichtern, die gleichmäßiges Nordlicht einfangen und nach innen führen. Da die geplanten Sammellinsen dem Rotstift zum Opfer fielen, bleibt die Lichtausbeute dort allerdings gering. Die große Raumblase verharrt im schemenhaften Zwielicht. Ohne eine permanente Zuspeisung von Kunstlicht kommen die Räume leider nicht aus.

Der Sinn

Zweifelsohne braucht eine Stadt Solitäre. Sie tragen zum unverwechselbaren Charakter des jeweiligen Ortes bei. Die Architekten sprechen von einer notwendigen, „tierischen Präsenz der Architektur“, wenn sie ihr „biomorphes“ Gebäude in einen städtebaulichen Kontext zu setzen suchen. Die Frage, was passiert, wenn diese Alpha- Präsenzen im Stadtbild überhand nehmen, wird freilich nicht beantwortet. Der Weg ist schmal zwischen dem pointierten Einsatz städtebaulicher Spitzen und einem urbanen Architekturzoo. Er bleibt immer eine Gratwanderung. (Mehr zum Kunsthaus siehe: LAT Apr./2004)
Robert Mehl, Aachen