Projektart:
Anfrage:
Objekt:
St. Marien - Kirche am Meer
Typ:
Kirche
Ort:
Horumersiel-Schillig [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Königs Architekten 🔗, Köln
Materialien:
Ziegelmauerwerk, Glas
Publiziert:
BHW 03/2016
Seiten:
14 - 18
Inhalt:
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Neubau einer Kirche aus Ziegeln an der Wattenmeerküste

Kirche mit 3-Gewerke- Punkt

Beim Neubau einer Kirche an der Wattenmeerküste galt es 24 Gewerke miteinander zu koordinieren. Gerade an der doppelt gekrümmten Attika war dies eine Herausforderung, weil gleich drei Gewerke gemeinsam auf eine theoretische Linie hinarbeiten mussten.
Die Nordseeküste ist traditionell protestantisch. In Horumersiel- Schillig, einem kleinen Küstenort etwa 25 km nördlich von Wilhelmshaven, gibt es gerade einmal 80 katholische Seelen. Trotzdem erhielt der Ort einen der ganz wenigen Kirchenneubauten Deutschlands. Anlass war die Existenz eines der größten deutschen Campingplätze, vornehmlich genutzt von Campern aus dem katholischen Ruhrgebiet. Tatsächlich registrierte man schon an der Vorgängerkirche eine rege Nachfrage.
Vorgeschichte
Im Jahr 2007 kam ein Gutachten zu dem Schluss, dass die Vorgängerkirche nur unter nicht vertretbaren Sanierungskosten in einen energetisch akzeptablen und zeitgemäßen Zustand versetzt werden könnte. Es empfahl einen Abriss der in den 1960er Jahren erbauten turmlosen Sichtbetonkirche und einen Neubau. Daraufhin lobte das zuständige Bistum Münster einen Architekturwettbewerb aus, den das Kölner Büro Königs Architekten für sich entscheiden konnte. Das Oldenburger Büro Göken + Henckel erhielt den zweiten Preis, und es war der Wunsch des Bistums, dass dieses vor Ort ansässige Büro die Bauleitung übernehmen sollte.
Alte Kirche „geschreddert“
„Sie müssen nur mit dem Spaten einen Stich in die Erde machen, um auf dem Grundstück zu erfahren, ob gerade Ebbe oder Flut ist!“, so umschreibt Bauleiter Michell Otto von Göken + Henckel die Grundwasserverhältnisse. Sein Chef Wolfgang Göken ergänzt, dass dort, unmittelbar hinter dem Deich, eine ungeahnte Schwemmsandlast existiert, die eine 23 m tiefe Pfahlgründung erforderlich machte. Auch besteht grundsätzlich die Gefahr eines Deichbruches, weshalb sowohl die Bodenplatte wie auch die aufgehenden Erdgeschosswände in WU- Beton ausgeführt wurden. Zuerst wurde der Vorgängerbau abgerissen und das alte Baumaterial zu Bauschotter geschreddert. Diesen nutzte man als Untergrund, um darauf die neue Bodenplatte zu gießen. Bewusst wurde diese vom westlich gelegenen Haupteingang hin nach Osten, zum späteren Chorbereich, um 30 cm abgesenkt, der Altarbereich bildet wieder eine horizontale Ellipse. Überhaupt gibt es in dem Kirchenbau kaum rechte Winkel oder gerade Kanten, welche die Handwerker als Anhalt nutzen konnten. Deshalb erstellten die Architekten aus Holz oder aus Aluminium Schablonen, um die korrekten Positionen vorzugeben. Manchmal war es sogar unumgänglich, die Arbeiter durch einen Vermesser einweisen zu lassen.
Widrige Umstände mit horizontalen Eiszapfen
Üppige Ausfallzeiten mussten die Handwerker schon in ihrem Angebot mit einplanen. So erwartete man umfangreiche Ausfallzeiten einerseits durch Schlechtwetter, aber auch aus dem Umstand, dass Schillig ein Kurort mit beachtlichem Tourismus ist. So entstanden bei einer Bauzeit von knapp zwei Jahren insgesamt 29 Wochen Ausfallzeit. Ferner galt eine erweiterte Mittagszeit zwischen 13:00 und 15:00 Uhr, in der keine lärmintensiven Arbeiten ausgeführt werden durften. Und natürlich hatten an allen Wochenenden und Feiertagen die Bautätigkeiten zu ruhen. Ein wenig Abhilfe brachten zusätzliche Container, in denen etwa Kreissägearbeiten ausgeführt wurden. Auch der beständig starke Wind war ein Problem. Michell Otto erwähnt gerne, dass Eiszapfen hier in den Wintermonaten vorzugsweise horizontal und nicht wie üblich vertikal wüchsen. So kam es nicht selten vor, dass lose Materialien, wie etwa Sande, großflächig in die benachbarten Gärten verteilt wurden. Auch das millimetergenaue Einschweben der Turmspitze, einem Betonfertigteil, erforderte einen windarmen Tag, der länger auf sich warten ließ. Irgendwann ruhten alle Arbeiten, da am Ende alle noch anstehenden Tätigkeiten die Turmspitze als Referenzpunkt erforderten.
Schmorbrandziegel
In den deutschen Küstenregionen herrscht die Ziegelbauweise vor. Die Wettbewerbsauslobung empfahl, diese Tradition zu berücksichtigen. Durch eine kompetente Beratung des Kölner Backstein Kontors wurden die entwerfenden Architekten Ilse und Ulrich Königs aufmerksam auf die doppelt gebrannten Ziegel des Krefelder Herstellers Gillrath. Der kleine Familienbetrieb brennt seine Klinker noch in einem traditionellen Ringofen. Dabei sind diese nach einem ersten regulären Brand weiterhin rot, besitzen aber schon eine deutlich lebendigere Textur als herkömmliche Steine aus einem Tunnelofen. In einer kleinen Ziegelmanufaktur in Belgien erhielten die Klinker dann einen zweiten sogenannten Reduktions- oder Schmorbrand, durch den die Steine noch weitere Feuchtigkeit verlieren und der verwendete Ton teilweise zu reinem Kohlenstoff zerfällt. Dafür werden die Öfen luftdicht abgeschottet, womit das Feuer zum Brennen den elementaren Sauerstoff des Tones nutzen muss. Chemisch liegt dieser in dessen Ferritanteil vor, der Grund, warum Ziegel überhaupt rot sind. Denn Eisenoxid ist nichts anderes als Rost. Der zweite Brand zerlegt den Ton in seine chemischen Bestandteile, in reinen Kohlenstoff und in Eisen. In der Folge wird der Klinker langsam von außen nach innen schwarz und seine Oberfläche bekommt eine metallische Verfärbung, durch Zersetzung anderer Bestandteile entstehen diverse Salzverkrustungen und Ausblühungen. Bedingt durch den handwerklichen Charakter der Ringofenproduktion sind diese Texturen von Stein zu Stein unterschiedlich. Leider verformen sich die Ziegel mitunter auch sehr stark, so dass bis zu 5 % aussortiert werden müssen. Auch sind die fertigen Ziegel zunächst staubig wie Steinkohle- Briketts.
Bei dem inneren Rohbaukern der Turmspitze handelt es sich um ein Betonfertigteil, genauso wie bei den Stürzen und Flachdecken über den zahlreichen Nischen, Eingängen und Fenstern. Um eine homogene Fassadenansicht zu erhalten, wurden die Ziegel der Länge nach gespalten und deren Stirnseiten im Verband damit beklebt. Um eine möglichst monolithische Erscheinungsform zu erzielen, galt es lineare Dehnungsfugen zu vermeiden, die einen gliedernden Effekt mit sich bringen. Stattdessen ließen Göken + Henckel die unvermeidlichen Zäsuren im verzahnten Verband ausführen. Die reißverschlussartige Fuge wurde mit Polystyrol verfüllt und mit Polyurethan verschlossen. Dabei war das dauerelastische Material in der Farbe des regulären Mörtels getönt und anschließend besandet worden.
Das Lehrbuchdetail
„Der Regen an der Nordsee ist oft so stark, dass man bei diesem Bau fast schon lehrbuchartig die Funktion eines zweischaligen Mauerwerks begreifen kann“, erzählt Bauleiter Otto. An der Innenseite des Haupteingangwindfangs war ein schlichter Schaukasten mit einer Holzrückseite vorgesehen. Außen ist diese Wand nach Norden orientiert. In der Phase, als der Rohbau schon stand, die vorgesehene Wandnische aber noch leer war, konnte man hervorragend sehen, dass der Wind den Schlagregen durch die Vormauerschale drückte und das Wasser dann sturzbachartig in der inneren Luftschicht nach unten lief. Und das, obwohl alle Fugenarbeiten bereits abgeschlossen und korrekt ausgeführt waren. Einem angehenden Maurer hätte man hier plakativ zeigen können, wie wichtig eine Sockelabdichtung und das korrekte Ausbilden einer Z- Fuge ist. Obwohl prinzipiell das Detail funktionierte, war es den Architekten dennoch zu heikel, jenseits der schmalen Luftschicht den Holzkasten ungeschützt zu montieren. Daher wurde die Rückwand - wie vorgesehen - in wasserbeständigem Eichenholz realisiert, darüber hinaus wurden aber noch dessen rückseitige Flächen abgeklebt und alle relevanten Fugen zusätzlich abgedichtet.
Die Attika, der 3-Gewerke- Punkt
In seinem Grundriss bildet der zentrale Kirchenraum ein geostetes Kreuz, dessen Ecken stark abgerundet sind. Diese Form zogen die Architekten strangförmig nach oben und schnitten diese dann in einem horizontalen Halbkreis ab. Eine sattelartige Form entstand, die mal als Welle und mal als Fisch angesprochen wird. Der „Pfiff“ aber, wie sich Wolfgang Göken ausdrückt, bestand in der Scharfkantigkeit des „Abschneidens“. So war es formal undenkbar, dass die Schnittlinie erst hinter einer Attika beginnt, sie musste nach außen auf „Null“ auslaufen. Die Mauerattika ist in diesem Punkt annähernd senkrecht geneigt.
Auch sollte die finale Dachkante „knickfrei“ sein. Leider gab es keine Unterkonstruktion,, von der die Handwerker ausgehen konnten: Die Krone der Rohbauwand lag etliche Zentimeter tiefer, aber die Vormauerschale und die Attikaverblechung mussten sauber aneinander anschließen. Die Lösung war eine Mischunterkonstruktion aus Draht und Holz. Dünne Schalbretter wurden auf die Krone genagelt, bis an diese setzten die Maurer die Steine. Oben auf das Holz montierte der Spengler die Metallattika, das Richtbrett verblieb letztendlich als „verlorene Schalung“ an seinem Platz. Aber auch der Fassadenbauer musste das gläserne Flachdach an dem Attikadetail ausrichten. Besonders pikant, denn von seiner sauberen Arbeit hängt es maßgeblich ab, ob der Innenraum dauerhaft dicht bleibt.
Die Feuerwehr musste kommen
Bei dem gläsernen Flachdach handelt es sich um ein für Wintergärten konzipiertes und sehr bewährtes System eines internationalen Herstellers (Schüco). Allerdings besitzen einzelne Scheiben der Konstruktion ein Gefälle von weniger als 3 %, so dass der Produzent es ablehnte, bei diesem speziellen Objekt eine Garantie für Dichtigkeit abzugeben. Die das Glasdach ausführende Oltmanns Metallbau GmbH aus Barßel garantierte diese aber trotzdem, indem sie einfach zusätzliche Dichtungen einbaute. Nichtsdestotrotz beschlossen die bauleitenden Architekten nach Vollendung des Daches eine Generalprobe zu machen. In Absprache mit der Einsatzleitung der zuständigen freiwilligen Feuerwehr wurde zweimal ein Probealarm ausgelöst, denn auch das Löschen eines Kirchenbrandes will geübt sein. Die Übungen zeigten zum einen, dass innerhalb von 8 Minuten 20.000 Liter Wasser auf das Dach niedergebracht werden können und dass es beim ersten Mal tatsächlich kleinere Undichtigkeiten gab. Es stellte sich heraus, dass einfach einige Zusatzdichtungen versehentlich nicht montiert waren, was problemlos nachgebessert werden konnte. Eine zweite Löschübung einige Wochen später wies dann die gewünschte Dichtigkeit nach. Zur Belohnung gab es beide Male Bier und Würstchen für alle.
Lotrecht putzen bei krummen Wänden
Der kreuzförmige Kirchenraum war durch seine gekrümmten Wandverläufe und seine Höhe von bis zu 12 m eine besondere Herausforderung für die Putzer. Zudem galt es die Übergänge dreier Schalungsabschnitte zu kaschieren, auch mussten unvermeidliche Rohbautoleranzen im Putz abgefangen werden. Dessen Auftrag schwankt nun zwischen etlichen Zentimetern und wenigen Millimetern, weshalb die Handwerker ihn auch in mehreren Lagen auftrugen. Es galt eine horizontale Krümmung zu putzen, die aber lotrecht über die gesamte Wandhöhe zu verlaufen hatte. Michell Otto lobt dies als „echtes Handwerk“, denn es sei unmöglich, bei jedem Handschlag den Putzer über einen 3D- Scanner einzuweisen. Der Putz besteht aus einem Vorspritz- Putz und darauf einem Kalk- Zement- Putz, derjenigen Schicht, in der die Handwerker ausgleichend modellieren konnten. Schließlich wurde darauf noch ein dünner Streichputz aufgebracht, der sehr rau angelegt und daher auch akustisch wirksam ist. Leider ist er auch sehr anfällig für Kerzenruß. Um im Bereich der Mauerkrone einen sauberen Abschluss zu erzielen, ließ die Bauleitung eine Putzträgerplatte in Höhe des inneren Dachanschlusses montieren, damit sowohl die Putzer wie die Fassadenbauer des Flachdaches einen generellen Anhalt hatten.
Vier Schreiner, eine Oberfläche
Alle Oberflächen des umfangreichen Holzmobiliars sind in „Eiche, weiß gekälkt“ ausgeführt. Aus Massivholz gefertigt sind sowohl die Kirchenbänke und alle Türen, die Einbaumöbel der Sakristei sind hingegen Furnierarbeiten. Die Orgel schließlich wurde aus einer aufgegebenen Kirche übernommen, ihr Buchenholzgehäuse wurde aufgearbeitet und erfuhr eine entsprechende Lasuranpassung. Beauftragt waren tatsächlich vier unterschiedliche Tischlereien, die eine einheitliche, optisch tatsächlich nicht zu unterscheidende Oberfläche erzielten, weshalb die bauleitenden Architekten ihnen ein außerordentlich hohes handwerkliches Können attestieren. Ferner waren die elliptisch gekrümmten Leimholzkirchenbänke nicht nur entsprechend dem Radius ihrer finalen Kirchenraumposition zu erstellen, auch ihre Holzmaserung war durch Dampfverfahren entsprechend zu biegen und anzupassen. Schließlich gibt es mittig in der Sakristei einen Paramentenschrank - eine Art Planschrank für Kirchengewänder. Auf dessen Tischoberfläche wurde in einem Ätzverfahren der Kirchengrundriss eingelassen.
Macht guter Arbeit
Gerne erwähnt Michell Otto, dass es kurz vor dem Richtfest einen Moment gab, ab dem die Kirche als solche wahrgenommen wurde und die Handwerker „Respekt“ vor dem Raum bekamen, den sie da gerade selber schufen. Ohne dass irgendjemand es forderte, wurde es merklich ruhiger: Niemand schrie mehr laut herum, wie man es von „normalen“ Baustellen her kennt, auch hörte man plötzlich kein lärmendes Baustellen- Radio mehr. Eine fast schon andächtige Arbeitsatmosphäre. Die Macht guten Handwerks.br> Robert Mehl, Aachen