Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Hauptquartier Heilsarmee
Typ:
Verwaltungsgebäude
Ort:
London [Satellit]
Staat:
Großbritannien
Architekt:
Materialien:
Beton, Stahl, Glas
Publiziert:
04/2008
Seiten:
-
Inhalt:
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Kapelle der Heilsarmee, London / UK

Dem Himmel so nah

Die in vielen Augen betagt und ein wenig obskur wirkende Heilsarmee strebt nach einem neuen Image. Jüngst hat sie an prominenter Stelle in London ihr neues Hauptquartier bezogen. Herzstück des Baus ist eine kleine Kapelle: Ein goldorange schimmernder Schrein über dem Haupteingang.
Keck ragt der gläserne Körper mit seinen matt geschliffenen, orangefarbenen Scheiben in den Straßenraum hinein. Zunächst ist man versucht, in ihm einen attraktiven Freisitz zu vermuten, der gleichsam als Schutzdach des Haupteingangs fungiert. Von seinem erhobenen Standpunkt aus wäre ein Blick entlang der prominenten Nord- Süd- Achse möglich. Diese erstreckt sich von der nahen Kuppel der St. Pauls Cathedral zur Rechten, verläuft über die nahe Milleniumbridge und endet mit dem grauen Massiv der Modern Tate zur Linken. Die Besucher dieses Raumes interessiert die belebte Magistrale kaum. Sie kommen um zu beten. Das transluzente Volumen ist eine Kapelle. Nicht nur im übertragenen Sinne ist der Blick seiner Besucher gen Himmel gerichtet. Ermöglicht wird diese Sicht ganz ohne Kopfverrenken durch 15 horizontale halbverspiegelte Glaslamellen. Diese sind zum Betrachter hin geneigt und reflektieren das Bild des Himmels. Von innen sind sie an die Tragkonstruktion der Stirnseite montiert, einer vollflächigen Glasscreen, die Windschutzscheibenartig geneigt ist.
Die Winkel der einzelnen Glasbänder variieren leicht. Sie sind so abgestimmt, dass sich alle 15 Himmelsstreifen etwa auf Höhe des Eingangs zu einem durchgängigen Himmelsbild ohne Versprünge zusammenfügen. Je nach Wetterlage verändert sich das himmlische Abbild. Je grauer und verhangener sich die Atmosphäre gibt, desto mehr geben die wie ein Spionspiegel arbeitenden Lichtbrecher das irdische Gegenüber, eine Schule mit dunkler Ziegelfassade, preis. Des Nachts dagegen wird der Blick des Meditierenden allein durch die größere Helligkeit in der Kapelle auf sich zurückgeworfen. Eine im Grundton seltsam dunkelblau schimmernde Fläche gibt den Innenraum schemenhaft wider. Die Flanken des Raumes werden durch mattierte VSG- Scheiben geschlossen. Den Architekten war es wichtig, mit matten eingelegten Folien zu arbeiten, da ihnen geschliffenes oder geätztes Glas als zu anfällig erschien. Dem thermischen Abschluss ist zum Raum hin eine zweite VSG- Scheibe vorgelagert. Bei ihr wurde allerdings eine orangefarbene, mattierte Folie eingelegt. Zusätzlich wurden die Gläser auf der raumabgewandten Seite mit Gold bedampft. Bei geeignetem Licht, etwa in der Mittagszeit, lässt diese Beschichtung den Körper auf subtile Weise golden glänzen. Der so entstandene, etwa 40 cm breite Zwischenraum dient der Kapellentemperierung. Aus Bodendüsen tritt dort heiße Luft aus. Nachdem sie die innere Scheibe vorgewärmt und sich an der Außenscheibe selber ein wenig abgekühlt hat, entweicht sie über die zur großen Screen hin offene Flanke der Seitenwände in den Gebetsraum. Schließlich wird sie über Deckenöffnungen wieder abgesaugt. Der Vorteil dieses Belüftungskonzeptes ist ein gleichmäßiges, völlig zugfreies Raumklima an jeder Stelle der Kapelle.
Stärker als nach außen präsentiert sich der Gebetsraum zum Gebäude hin als völliger Solitär. Der orangefarbene Quader wirkt wie ein bunter Luftballon, der an die Decke des dreigeschossigen Foyers gestiegen ist. Dieses hat seine Basis im Kellergeschoss, wo sich eine unprätentiöse Kantine befindet. Sie steht jedem offen und es soll erwähnt sein, dass hier das günstigste Lunch von ganz Inner- London angeboten wird. Von der Straße aus betritt man das Gebäude über einen brückenförmigen Windfang, der zu dem emporenartig ausgebildeten Erdgeschoss hinüberleitet. Während die Foyersohle über eine großzügige Treppe erschlossen wird, erreicht man alle Obergeschosse nur über den Aufzug beziehungsweise die Fluchtreppenhäuser. Das erste Obergeschoss ist gleich dem Erdgeschoss ausgebildet: Es hält denselben Abstand zur Außenfassade des Baues. Der so entstandene Luftraum ist der Kantine zugeordnet und sowohl akustisch, wie auch olfaktorisch durch geschosshohe Glasfronten von den sich dort befindlichen Büro- und Repräsentationsflächen getrennt.
Prägend für das gesamte Foyer ist jedoch weder der Quader der Kapelle, noch der Zylinder des „Warrooms“, dem kreisrunden Besprechungsraumes der Generalität. Vielmehr geben fünf x-förmigen Stützen das formale Grundthema vor, dem sich alle anderen Objekte unterordnen. Ihre Taille befindet sich auf Höhe des 1. Obergeschosses. Ihre dem Gebäude zugewandten Schenkel durchdringen die Böden beider Emporengeschosse.
Das Baugrundstück war schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den Besitz der Organisation gelangt. In den letzten hundert Jahren war es von ihr mehrfach bebaut worden. Nun war auch den christlichen Eigentümern nicht entgangen, dass bedingt durch den massiven Strukturwandel der letzten Jahre, das Areal erheblich aufgewertet wurde. Der Armeeführung ging es darum unter weitgehender Schonung ihrer eigenen, spendenfinanzierten Ressourcen, ein technisch zeitgemäßes Gebäude zu erhalten, das gleichzeitig auch der Glaubenstruppe ein modernes und transparentes Image verleiht. Den Standortfaktor ausnutzend entschloss man sich, Teile der eigenen Administration an die kostengünstigere Peripherie Londons auszulagern und so den eigenen Flächenbedarf auf ein Drittel zu reduzieren. Schnell konnte dann ein Investor gefunden werden, der bereit war, die gesamten Baukosten zu übernehmen. Im Gegenzug erhielt er in 100jähriger Erbpacht das Recht, die restliche Nutzfläche vermieten zu dürfen.
Während die Kapelle von Carpenter Lowings gestaltet wurde, stammt der Gebäudeentwurf aus der Feder der Generalplaner Shephard- Robson. Er trägt diesen besonderen Eigentumsverhältnissen auch architektonisch Rechnung. So weicht die durchgängige Glasfassade an dem Übergang vom Glauben zum Kommerz einem zurückgesetzten, metallverkleideten Abschnitt, hinter dem sich das Fluchttreppenhaus verbirgt. Auch wurde das großzügige Foyer der Heilsarmee im gewerblichen Bereich nicht fortgeführt.
Tatsächlich ist es der Glaubenskongregation gelungen, mit dem Projekt einen Spagat zu vollführen. Einerseits genügt die achitektonisch gelungene Gesamtumsetzung einem bodenständigen Finanzierungskonzept, andererseits konnte diese Hinwendung zu etwas Höherem so wortwörtlich wie beeindruckend realisiert werden. Dass dabei der gläserne Gebetsraum im rechten Licht zu einem goldenen Schrein verklärt wird, ist für einen Sakralraum mehr als opportun.
Robert Mehl, Aachen