Projektart:
Anfrage:
Objekt:
2014 FIFA World Cup Brazil
Typ:
Fußball Weltmeisterschaft
Ort:
diverse [Satellit]
Staat:
Brasilien
Architekt:
diverse
Materialien:
überwiegend Betonfertigteiltribünen
Publiziert:
db 6/2014
Seiten:
12 - 15
Inhalt:
[Artikel]  [2]  [3]  [4]  [5]      
 

Stadionarchitektur der Fußball- WM 2014 in Brasilien

7:5 für die Neubauten

Die insgesamt 64 WM- Begegnungen werden in zwölf unterschiedlichen Spielstätten ausgetragen, auf die der Blick auch in architektonischer und konstruktiver Hinsicht lohnt. Bei fünf Stadien handelt es sich um ältere Bauwerke, die modernisiert und umgebaut wurden; sieben sind dagegen neu entstanden. An der Hälfte der Bauprojekte wirkten deutsche Planer maßgeblich mit.
Das 192 Mio. Einwohner zählende Brasilien ist der flächen- und bevölkerungsmäßig fünftgrößte Staat der Erde. Vielleicht mag auch das ein Grund dafür sein, dass die Begegnungen in diesem ausgesprochen fußballbegeisterten Land auf zwölf Austragungsorte verteilt sein werden – vor vier Jahren in Südafrika waren es noch zehn Stadien in neun verschiedenen Städten. Fünf davon, die Spielstätten in Belo Horizonte, Curitiba, Fortaleza, Porto Alegre und natürlich das altehrwürdige Maracanã- Stadion von Rio de Janeiro wurden weitreichend modernisiert und umgebaut. Sieben weitere sind vollständige Neubauten. Sie stehen in der Hauptstadt Brasilia, in Cuiabá, Manaus, Natal, Recife, Salvador de Bahia und in São Paulo.
Auftakt in São Paulo, Finale in Rio
Die Arena de São Paulo hat unlängst bedauerliche Berühmtheit durch den Umsturz eines Krans auf das Stadiondach erhalten, was letztlich auch den bereits von Anfang an bestehenden Zeitdruck noch einmal verschärft hat. Der ortsansässige Fußballverein Corinthians hatte verhältnismäßig spät, nämlich erst vor knapp zwei Jahren, den endgültigen Zuschlag erhalten. Denn für die ursprünglich angedachten Umbaukonzepte verschiedener älterer Stadien konnte keine Einigung hinsichtlich der Finanzierung erzielt werden. Der Weltverband FIFA disponierte daraufhin kurzfristig um und man entschied sich für einen Neubau im Stadtteil Itaquera. Corinthians wollte auf seinem ehemaligen Trainingsgelände ohnehin eine neue Arena bauen; der vorhandene Entwurf des brasilianischen Architekturbüros CDCA musste lediglich an die internationalen Vorgaben angepasst werden. Als eines von insgesamt nur drei Stadien der WM beschreibt der Bau eine rechteckige Grundfigur und besitzt damit vier baulich eindeutig ablesbare Tribünen. Die westliche Haupttribüne besteht aus drei Rängen, die gegenüberliegende Osttribüne aus zwei Zuschauerebenen. Zwischen den beiden Tribünen spannt stützenfrei eine 200 x 245 m messende, leicht nach Osten hin abfallende Dachfläche, die oberhalb des Spielfelds eine 150 x 85 m große Öffnung aufweist. Die Konstruktion dieses extrem flachen, räumlichen Stahlfachwerkes wurde vom Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobek konzipiert und umgesetzt. Bemerkenswert ist auch die Nord- und die Südseite, an der jeweils temporäre Ränge errichtet wurden. Nach der WM verbleiben dort nur die im Erdreich liegenden Unterränge.
Insgesamt 80 % des brasilianischen Bruttosozialproduktes werden im Südosten, im Einzugsgebiet von São Paulo und Rio de Janeiro erwirtschaftet. Entsprechend rivalisierend stehen sich die beiden Städte gegenüber. Dabei sieht sich die Industriestadt São Paulo mit der zweithöchsten Hubschrauberdichte nach New York als diejenige, die das Geld erarbeitet, das wiederum in der zweiten, der „Schönen“, verprasst wird. Insofern verstand es sich von selbst, dass in São Paulo ein besonderes Ereignis der WM stattzufinden hat: das Eröffnungsspiel. Ort des Endspiels ist – natürlich – das altehrwürdige Maracanã- Stadion von Rio de Janeiro mit 73 531 Zuschauerplätzen (das ursprüngliche Fassungsvermögen lag angeblich bei über 180 000). Dazu wurden die bestehenden Ränge und das Dach der denkmalgeschützten Spielstätte abgerissen. Nur die Außenfassade des im Jahr 1950 errichteten, annähernd runden Stadions blieb erhalten. Das neue Dach sollte so unauffällig wie möglich daran anschließen, um die zwei neuen Ränge, die nun deutlich weiter zur Mitte hin vorgezogen wurden, nahezu vollständig vor Witterungseinflüssen zu schützen.
Ringseilkonstruktionen
Im Maracanã, dem Estádio Jornalista Mário Filho, kam mit einem Ringseildach ein für Stadien derzeit ausgesprochen beliebtes Konstruktionsprinzip zur Ausführung. Bei dieser WM treffen wir es außerdem in Brasília, Belo Horizonte und in Salvador de Bahia an. Die dazugehörigen Konzepte stammen ebenfalls von Stuttgarter Planungsbüros, nämlich von Schlaich- Bergermann Partner (sbp) und im Falle des Dachtragwerks in Salvador von RFR- Ingenieuren. Ringseilkonstruktionen basieren auf der Idee radialer Zugkräfte, ähnlich wie bei einem Fahrrad. In beiden Fällen gibt es einen inneren Zugring, von dem strahlenförmig die Speichen abgehen, die wiederum außen an einem Druckring befestigt sind. Bei den Arenen ist der innen liegende Zugring im Verhältnis ungleich größer. Er umschließt eine große, rundliche Öffnung oberhalb des Spielfeldes. Damit die Dachflächen zu ihrer Mitte hin nicht zu stark absacken und zudem gegen Wind- und Sogkräfte ausgesteift sind, sehen die Ingenieure Luftstützen und Querverspannungen vor. Deren Anordnung fällt bei den vier brasilianischen Stadien sehr unterschiedlich aus – erfreulicher Weise, muss man sagen, denn die Stadionwrlt hat in der letzten Zeit wahrlich viele dieser zweifelsohne vorbildlich effizienten, sich gestalterisch aber letztlich doch sehr ähnelnden Dachkonstruktionen gesehen. Vergleichbar mit dem Aufbau eines Zirkuszelts werden Ringseildächer vor Ort „in einem Zug“, im Rahmen des sogenannten Big Lifts errichtet. Dabei werden die radialen Seilscharen – beim Stadion von Rio de Janeiro waren es entsprechend der Gebäudeachsen 60 Stück – zugleich angezogen und der zuvor auf dem Boden ausgelegte Druckring angehoben. Besonders heikel während dieses Vorgangs ist der dynamische Lastwechsel an den Luftstützen, bevor diese ihre vorgesehene Position einnehmen. Anschließend wurden die Seilkonstruktionen aller vier brasilianischen Stadien segmentweise mit einer Folienmembran aus Polytetrafluorethylen (PTFE) bedeckt. Das Material weist eine ausgesprochen glatte Oberfläche auf und ist dadurch wasserabweisend, schmutzresistent und fungizid.
Brasilia, Salvador de Bahia und Belo Horizonte
Mit einer effektiven Spannweite von 68 m zwischen Druck- und Zugring ist das Maracanã der Spitzenreiter aller brasilianischen Sportstätten, aber auch die anderen zwei Arenen mit Ringseillösungen weisen besondere technische Qualitäten auf. Beim neuen Nationalstation von Brasilia, dessen innere Schüssel von dem Brasilianer Castro Mello ist, errichteten die Hamburger Architekten von gmp einen umlaufenden Säulenportikus, auf den sie dachähnlich, einen in seiner Funktion wie oben beschriebenen Druckring legten. Der tempelartig anmutende Gebäudering besteht aus 288, bis zu 59 m hohen Rundstützen aus ultrahochfestem Beton.
Der Entwurf für das Fonte- Nova- Stadion in Salvador de Bahia stammt von Schulitz + Partner Architekten aus Braunschweig. Seine besondere Qualität ist eine subtile Verzahnung mit dem direkten Umfeld. Der hufeisenförmige Grundriss erinnert ansatzweise an den Circus Maximus in Rom. Der Baukörper öffnet sich nach Süden hin zu einem See, wodurch nicht nur eine beeindruckende Aussicht entsteht, sondern die Planer auch einen geschickten thermischen Effekt erzeugen. Denn die hitzige Begeisterung von 48 747 Zuschauern lässt Wärme aufsteigen, wodurch nach dem Prinzip eines Kamins kühle Seeluft ins Innere des Baukörpers nachströmt. Darüber hinaus dient die Lücke im Tribünenring als Veranstaltungsbühne, etwa für Konzerte. Entsprechende Auf- und Abbauarbeiten beeinträchtigen den Regelbetrieb auf dem Spielfeld dabei nur gering.
Erwähnen sollte man hier noch die Sanierung des Stadions von Belo Horizonte, einem Frühwerk des architektonischen Nationalheiligen Oscar Niemeyer, das natürlich entsprechend unter Denkmalschutz steht. Diese Sanierung wurde ebenfalls von gmp durchgeführt und ursprünglich war hier eine vergleichbare Ringseilkonstruktion vorgesehen. Letztlich konnte sich aber der durchführende brasilianische Generalunternehmer mit einer Stahlrohrträgerkonstruktion durchsetzen, die zwar eventuell kostengünstiger, definitiv aber dem Innenraum der Arena abträglich war.
Blüte am Amazonas
Manaus, die zwei Millionen Einwohner zählende Stadt am Amazonas, hat zwar keinen bedeutenden Fußballverein, jetzt aber ein Stadion für 42 374 Zuschauer: Im Kern ein vierseitiges Tribünenbauwerk, das ringsum von einer rautenförmigen Stahlkonstruktion umgeben ist, deren obere Spitzen bis an die Stadiontraufe reichen. Auf den Knotenpunkten dazwischen sitzen weitere Rauten, in deren Mitte die Traufe verläuft, an der sie um fast 90° nach innen abknicken und das Tribünendach bilden. Das gesamte äußere Stahltragwerk – sowohl die vertikalen als auch die horizontalen Bereiche – ist mit einer PTFE- Membran ausgefacht. Im Inneren sind rote Stuhlreihenmontiert, die nach oben in Orange- und Gelbtöne übergehen. Die Architekten – wiederum gmp – beziehen sich mit ihrem Entwurf auf die Natur und die Früchte Amazoniens. Tatsächlich erinnert das Stadion an eine große, weiße Blüte und die Tribünen an Blütenstände.
Obligatorische Zeiknappheit
Das Stadion von São Paulo mag typisch sein für die heiße Nadel mit der Brasilien hier am stricken ist. Alle meine Aufnahmen entstanden Anfang März dieses Jahres. Sicher werden am Ende alle Stadien bespielbar sein, selbst mit mühsam kaschierten Bauzäunen. Allein die Fertigstellung der entsprechenden Infrastruktur bereitet dem Autor Kopfzerbrechen. So ist etwa auf dem Luftbild vom Corinthians- Stadion im Vordergrund rechts der Rohbau einer Autobahnbrückenbaustelle zu erkennen, es ist die Ausfahrt zum Stadien. Auch in touristischer Hinsicht gibt es Defizite. In ganz Rio de Janeiro gibt es keinen Geldautomaten der eine EC- Karte akzeptiert. Plakativ hierfür mag der Souvenirshop auf dem 407 m hohen Zuckerhut sein. Das was man als Feuerzangenbowle affiner Europäer dort als Andenken gerne kaufen würde gibt es nicht. Mehr noch: Man weiß gar nicht, was das sein soll.
Und nach dem großen Turnier?
Die angedachte Nachnutzung einiger Stadien, insbesondere des letztgenannten Bauwerks, erscheint fragwürdig: Ein Ansatz sieht vor, Erstligabegegnungen großflächiger über das Land zu verteilen und dazu beide Mannschaften einzufliegen. Eine etwas skurril anmutende Idee – allerdings nur im ersten Moment. Denn das Maracanã- Stadion beispielsweise ist bereits Heimspielort von fünf Clubs; die Bewohner Rios sind quasi übersättigt mit hochkarätigen Begegnungen. Auch in Manaus leben zahlreiche Anhänger dieser Vereine, die gerne zu den Spielen kämen, aber keinen kostspieligen, vierstündigen Flug auf sich nehmen können oder wollen. In einem derart großen Land wie Brasilien könnte es also tatsächlich sinnvoll sein, die Mannschaften zu ihren Fans reisen zu lassen.
Robert Mehl, Aachen
Die Fassade des Maracanã-Stadions steht unter Denkmalschutz
Die 60 Luftstützen des Ringseildaches wurden aufgespreizt, um einen Wartungssteg aufnehmen zu können
Das neue Corinthians-Stadion im Stadtteil Itaquera ist über einen großen Pendlerbahnhof und die Stadtautobahn zu erreichen
Die 170 x 20 m messende Ostfassade aus weiß bedrucktem Glas, sphärisch verformten Glas gilt als das größte Video-Display weltweit
Seitlich im Bild die noch im Bau befindliche nördliche und südliche Dachkonstruktion
288, bis zu 59 m hohe Rundstützen aus ultrahochfestem Beton verleihen dem Nationalstadion in Brasilia eine tempelartige Anmutung
Die Fassade in Manaus geht konstruktiv in das Dach über
Manaus: Die Architekten beziehen sich mit ihrem Entwurf auf die Natur und die Früchte Amazoniens