Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Casa en la Florida
Typ:
Wohnhaus / Bungalow
Ort:
Madrid [Satellit]
Staat:
Spanien
Architekt:
Materialien:
Stahl, Plexiglas, Gummi
Publiziert:
DBZ 05/2007
Seiten:
38 - 47
Inhalt:
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Bungalow in Madrid/E

Sonnendeck mit Tiefgang

In einem Vorort von Madrid ist ein Wohnhaus entstanden, das mit seinen poppigen Farbtönen in starkem Kontrast zu der umgebenden Natur zu stehen scheint. Tatsächlich orientiert sich der Bau an der Natur. Kein einziger Baum wurde gefällt.
Eine Kopfsteinpflasterstraße in einem luxuriösen Villenviertel in Madrid. Anti- Raser- Schwellen hemmen immer wieder das gleichmäßige Vorwärtskommen. Zunächst irritiert nur eine unmotivierte am Straßenrand stehende Schranke. Kurze Zeit später passiert man einen livrierten Butler, der eine frisch geleerte Mülltonne durch eine überdimensionierte Toreinfahrt zerrt. Kein Zweifel, der Vorort Florida zählt zu den teuersten Lagen der spanischen Kapitale. Später erfahre ich, dass sich an allen Zufahrten zu dem Quartier Schranken befinden, die nachts geschlossen werden. Alles ist hier videoüberwacht. Florida ist eine "locked city" in der Europäischen Union. Eine Wohnform, von der man bisher dachte, es gäbe sie nur in Ländern mit extremen sozialen Gegensätzen wie etwa Südafrika, Saudi- Arabien oder Brasilien. Wohltuend der Kontrast am Ziel. Die angesteuerte Adresse wirkt auf den ersten Blick unbebaut. Späht man durch den lediglich mit Bambusmatten notdürftig blickdicht gemachten Zaun, erblickt man einen Olivenhain, in dem man nur schwach die Kontur einer baulichen Maßnahme ausmachen kann.

Haus und Hain

Von dem großen, schwarzen Stahltor mit dem dahinter angeschlossenen, unscheinbaren Carport führen zwei mit Kiefernbohlen belegte Holzstege hinab zu dem in einer leichten Mulde errichteten, eingeschossigen Bau. Dieser folgt elegant der gegebenen Topographie und erhebt sich an seiner höchsten Stelle vielleicht drei Meter über das Erdreich. Das Haus besitzt im klassischen Sinne keine charakteristische Fassade. Seine Schauseite ist das begehbare Flachdach, das sich in zwei amorphe Flächen gliedert, die leicht versetzt einander zugeordnet sind. Ihre unterschiedliche Farbgebung weist auf die darunter befindlichen Nutzungszonen hin. Der höhere hellrote Abschnitt beherbergt die Tagesbereiche, wie Küche und Wohnzimmer. Er ist der Straße näher gelegen. Der schwarze Sektor beinhaltet dagegen die nächtlichen und privateren Aufenthaltsorte. Hier finden sich das Schlaf- sowie die beiden Kinderzimmer, denen jeweils ein eigenes Bad zugeordnet ist. Die beiden Gebäudeflügel umschließen einen treppenartig ansteigenden Freibereich, der nach einigen Metern in einer Terrasse mündet. Die Erbauer bezeichnen diesen Bereich gerne als ihr kleines Amphitheater, das sie gerne für kleinere Aufführungen im Familien- und Freundeskreis nutzen.
Die Ausprägung des Bauwerkes geht auf eine realistische Analyse spanischer Lebensgewohnheiten zurück und verliert dabei gleichzeitig die Verantwortung vor der Natur und die Schonung der gegebenen Ressourcen nicht aus den Augen.
Der Grundriss der Anlage resultiert aus der vorgefundenen Stellung der Bäume. Kein einziger der teilweise recht alten Olivenbäume wurde für die Maßnahme gefällt. Im Gegenteil wird eine noch stärkere Aufforstung des Grundstücks angestrebt und auch schon durchgeführt.
Spanischer Lebensstil heißt für die Architekten, dass ein Großteil des privaten Lebens in der Regel im Freien bevorzugt unter dem Schatten von Bäumen stattfindet. Bewusst wurden die alten Bäume auch erhalten, um durch ihren Schattenwurf das Aufheizen des Bauwerkes zu senken. Auch das Wohnen im Souterrain soll den sengenden Sonnenstrahlen weniger Angriffsfläche bieten und gleichzeitig das Erdreich als sommerlichen wie winterlichen Wärmepuffer nutzen.

Dach und Detail

So verblieb allein das Dach als das letzte offensichtliche Zeugnis der hier angewendeten Baukunst. Es wurde bewusst schutzschildartig in Szene gesetzt, zumal die Wirksamkeit seiner Dämmung den zentralen Faktor für die Wohnqualität darstellt.
Ihren schwebenden, monolithischen Charakter erhalten die beiden Dachhälften durch die bis zu der Verglasung heruntergezogene metallene Seitenverkleidung, die in derselben Farbe wie die jeweilige Dachhaut gehalten ist. Darunter läuft ein durchgehendes Fensterband, das wiederum mit seiner Brüstung direkt auf das umgebende Kiesbett aufsitzt. Die Fassadenprofile sind einfache schmale Metallwinkel, archaisch in der Konstruktion, wie man sie zuvor nur bei unrestaurierten Bauten aus der Frühzeit der Moderne gesehen hat. Das simple Prinzip resultiert einerseits aus den milden Wintern, die Kältebrücken in die Bedeutungslosigkeit verdammen, andererseits aus dem geringen Gewicht, das sie aufnehmen müssen: Die großformatigen Scheiben sind aus 12mm starkem Plexiglas, das in die nach außen offenen Stahlrahmen einfach einsilikoniert wurde.
Die Architekten, die ein Vorliebe für das Unperfekte, Handwerkliche haben, nehmen die Gefahr des leichteren Verkratzens billigend in Kauf und schätzen dagegen das geringe Gewicht und die guten Wärmedämmeigenschaften dieses Glasersatzes.
Im Inneren weicht der massive Charakter der beiden Dachscheiben einer filigranen Leichtigkeit. Die Konstruktion basiert auf einem Rost aus schlanken Doppel- T- Trägern, welche wiederum auf wenigen Stahlrundstützen gelagert sind, die mit 8 cm unglaublich dünn ausfallen. Ausgesteift wird die tischförmige Konstruktion an nur einer Stelle mittels einer schmalen Betonwand.
Das Raster aus Stahlträgern wurden mit 5 cm starken Trockenestrichplatten belegt. In die Zwischenräume wurde eine ebenfalls 5 cm starke Hartschaumdämmung eingebracht, die mit Gipskarton verkleidet worden ist. Oberhalb der Holzzementplatten folgt die wasserführende Schicht, die mittels einer dünnen Drainageschüttung von der Außenhaut getrennt wurde. Diese oberste Ebene besteht aus einem farbigen Gummibelag, wie man ihn von Kinderspielplätzen oder Leichtathletikkampfbahnen her kennt. Er wurde flüssig aufgebracht und bildet eine homogene Masse.
Während die Dachfläche des schwarzen Nachttraktes durch schlitzartige Oberlichter aufgebrochen ist, wird das erhöhte rote Dach durch sechs kreisrunde Flächen und eine Flucht von drei halbkugelförmigen Oberlichtern gegliedert.
Diese in der Farbe des Daches gehaltenen Rundflächen erweisen sich als kommode Turnmatten, die zum Platznehmen einladen. Die entfernt an ein UFO- Cockpit erinnernden Oberlichter besitzen entsprechend dem Loungecharakter des Daches die Aufgabe, den Bereich nachts zu illuminieren. Sie können in dem darunter gelegenen Wohnzimmer gezielt durch Punktstrahler angestrahlt werden. Bedingt durch ihre konstruktive Höhe, reflektieren sie das einfallende Licht auf ihrer gekrümmten Innenseite und werfen es nach außen auf die Dachfläche.
Die beiden Dachflächen wie auch die beiden Baukörper werden durch den transparenten Eingangsbereich getrennt. Canyonartig kreuzt er die Durchwegung des Hauses. Der Zugang fällt in einer hölzernen Rampe vom Niveau der Straße auf die Ebene der Innenräume ab, nur um danach via dem schon erwähnten Amphitheater wieder zu der Ausgangshöhe zurückzukehren. Erschlossen werden die Dachflächen nacheinander durch zwei reduzierte Stufenfolgen, die zunächst von der Terrasse auf die schwarze Ebene und schließlich über ein bemerkenswert reduziertes Treppendetail auf den roten Freisitz führt.

Architektur und Auflösung

Auch wenn die Materialwahl eine ökologische Nachhaltigkeit des Projektes nicht vermuten lassen, so ist doch genau dieses hier der Fall. Die konsequente Verwendung von Leichtbaumaterialien machte den Einsatz schweren Gerätes ebenso überflüssig wie ein intensives Modellieren des natürlichen Reliefs. Bemerkenswert ist auch die stimmige Mehrfachnutzung des Baumaterials. So wurde die in die Erde versenkte Fensterbrüstung in Ortbeton realisiert. Die dazugehörige Brettschalung wurde gereinigt und wieder verwendet: Der überwiegende Teil wurde für die Innenverkleidung der Fensterstürze genutzt, die wie eingangs erwähnt von außen mit Metall verkleidet und in der Farbe des Daches gestrichen sind. Die Bretter wurden wie auch der Sichtbeton weiß gestrichen und harmonieren durch das identische Fugenbild in beindruckender Weise mit dem Sockel. Der Rest des Schalholzes blieb wortwörtlich auf der Strecke: Es sind die Bohlen, der beiden Holzstege, die von der Straße zum Gebäude führen.
Nicht zuletzt dieser raue Charme und der harte Kontrast zu dem mondänen, antiseptisch wirkenden urbanen Kontext machen den Esprit dieses Projektes aus. Das Haus scheint sich in dem Grundstück aufzulösen. Allein eine platzartige, kaskadenartig gegliederte Terrasse verbleibt im Bewusstsein. Das Nichtwahrnehmen des Gebauten ist auch eine häufige Ursache der Heiterkeit: Oft fragen Gäste, wo denn der Weg ist, der zum neuen Haus führe. Und selbst ein beauftragter Luftbildfotograf fragte nach, zu welchem der umgebenden Häuser denn die neue Terrasse gehöre.
Robert Mehl, Aachen