Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Atelierhaus Büsserach
Typ:
Wohnhaus
Ort:
Büsserach [Satellit]
Staat:
Schweiz
Architekt:
Degelo Architekten 🔗, Basel
Materialien:
Altbausanierung, Holz, Glas
Publiziert:
Bauhandwerk 10/2008
Seiten:
14 - 18
Inhalt:
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Totalumbau einer Scheune im Basler Hinterland zum Wohnhaus

Materialmix

Im eidgenössischen Büsserach bauten die Handwerker nach Plänen des Büros Degelo Architekten eine alte Scheune zu einem Wohn- und Atelierhaus um. Dabei blieb das alte, aber intakte Holzständerwerk als tragende Konstruktion erhalten. Die neue Außenhaut wirkt auf den ersten Blick fremdartig in dem ländlichen Umfeld. In Wirklichkeit ist sie jedoch eine Hommage an lokale Bauformen.
Für den Architekten Heinrich Degelo sind im ländlich strukturierten Basler Hinterland Nebengebäude häufig durch eine vertikal angeordnete Brettschalung, rostige Wellblechdächer und ungestrichenen Putz gekennzeichnet. Natürlich entstand diese Bauform weniger aus einer jahrhundertealten Tradition als vielmehr aus einer pragmatischen Bautätigkeit der einstmals armen Landbevölkerung. Wenn überhaupt, wurden die jeweiligen Hauptgebäude repräsentativ ausgeführt. Neben der Neuinterpretation traditioneller Bauformen war dem Basler Architekt ein weiterer Aspekt besonders wichtig: Er kalkulierte die Verwitterung der allesamt unbehandelt eingebrachten Fassadenmaterialien Stahl, Holz und Putz als gestalterisches Mittel mit ein.

Vorgefertigte Dachkonstruktion

Da die alte Scheune weder baufällig, noch undicht war, konnten Instandsetzungs- oder Sicherungsarbeiten im Vorfeld unterbleiben. Tatsächlich war die Grundidee des Architekten, soviel wie möglich der tragenden Holzkonstruktion zu erhalten. So sollte zunächst auch die alte Außenschalung nur ausgebessert werden. Sie erwies sich jedoch als zu schadhaft und wurde komplett getauscht. Nach innen doppelten die Handwerker die alte Ständerkonstruktion auf und beplankten diese anschließend mit einer gehobelten Brettschalung aus Nadelholz. Die Dämmung der nunmehr 40 cm dicken Außenwände erfolgte durch Ausblasen mit Altpapierflocken, die zuvor mit Borsalz imprägniert worden waren. Zur Realisierung der neuen Raumfolgen musste die alte Dachkonstruktion aufgegeben werden. Der bestehende Stuhl hätte die Schaffung des großen, stützenfreien Hauptwohnraumes, der auch das Dachvolumen mit einbezieht, nicht zugelassen. Stattdessen kam hier eine in der Zimmereiwerkstatt vorproduzierte Holzverbundkonstruktion zum Einsatz. Sie besteht aus jeweils 30 cm starken und 2 m breiten Sandwichelementen, die jeweils von der Traufe bis zum First reichen. Die kastenartigen Bauteile besitzen außen und innen jeweils eine Tafelholzschalung, zwischen denen durchlaufende Leichtbauträger und eine Wärmedämmung eingebracht wurden. Die großen Fertigelemente transportierten die Mitarbeiter der Zimmerei auf die Baustelle nach Büsserach, wo sie mit dem Kran direkt vom LKW auf ihre zukünftige Position versetzt und montiert wurden.

Panoramascreen anstelle regulärer Fenster

Auffällig an dem Bau ist seine minimalistische Fensteranordnung. Dabei bestand das ursprüngliche Konzept des Architekten darin, oberhalb des gemauerten Bestandssockels an jeder Gebäudeseite nur ein seitlich platziertes, großes Glasscreen vorzusehen. Tatsächlich wurde das einzige reguläre Fenster auf expliziten Wunsch der Bauherrin unweit der Küchenzeile zum Lüften angeordnet sowie ein weiteres im Obergeschoss – hier allerdings auf Anordnung der Baupolizei. Dieses Fenster stellt im Brandfalle einen zweiten Fluchtweg aus jener Ebene sicher. Um den monolithischen Charakter dieses quaderförmigen Gebäudeteiles nicht zu stören, erhielt die Öffnung eine reversible Lochblende gleicher Anmutung.

Belichtung und Belüftung

Grundsätzlich erfolgt die Belüftung des Hauses über türgroße Klappen, die jeweils unmittelbar an die Panoramascreens anschließen. Sie können über einen speziellen Dreh- Kipp- Mechanismus nach außen und nach unten geöffnet werden. Die notwendigen Geländer wurden von innen in die Leibung integriert und sind dadurch im geschlossenen Zustand von außen nicht sichtbar. Das nach unten gerichtete Abspreizen der Klappen macht ein Schließen der Öffnungen bei Regen unnötig. Die teilweise über 4 m breiten und rund 2,5 m hohen, leicht getönten Panoramascreens führte der Fensterbauer als Doppelverglasung mit einer etwa 2 cm starken Isolierluftschicht aus. Für die Scheiben verwendete er VSG- Glas. Der umlaufende Isoliersteg zwischen Innen- und Außenglas wurde von der Außenkante etwas eingerückt. Dadurch entstand eine Nut, die das Fixieren der Scheibe ermöglicht. Tatsächlich sind die fast 10 qm großen Glaselemente nur an vier Punkten befestigt: zwei Auflager- und zwei Haltepunkte. Der Architekt entschloss sich hierzu, da es bauseits unmöglich war, eine exakte Linie über drei Punkte zu führen, was zu unabschätzbaren Spannungen innerhalb des Glases geführt hätte. Die Scheibenauflager bestehen aus simplen Stahlwinkeln, die jeweils an die Holzständerkonstruktion angeschlagen sind. Die Scheiben sitzen ungesichert auf diesen auf - nur ein Nylonvlies verhindert ihr Verrutschen. In den oberen Fixpunkten greifen Halteklammern in die Nut zwischen den beiden Scheiben. So ist es möglich, dass die Scheiben ohne umlaufenden Stahlrahmen direkt an die Außenschalung des Gebäudes stoßen können.

Auf der Küchenzeile geht’s ins Dachgeschoss

Das Konzept für die Raumabfolge entwickelte sich aus der Idee, dass Weite noch weiter wirkt, wenn dieser eine Engstelle vorangeht. Entsprechend schmal fielen der Flur und die stiegenartigen Vertikalerschließungen aus. Besonders bemerkenswert ist die Küchenzeile, in der die Tischler den Aufgang in das Obergeschoss integrierten. Eine weitere gestalterische Entscheidung war die Festlegung auf nur ein Basismaterial pro Geschoss. Diesem Gedanken folgend erhielten im Keller Wand und Boden mineralische Beläge. Lediglich die alte Deckenuntersicht blieb erhalten. Im Erdgeschoss belegten die Handwerker alle Flächen mit demselben, lediglich geölten Nadelholz. Im Obergeschoss tapezierte der Maler Decke und Wände mit Makulaturpapier weiß. Den Boden stellten die Handwerker aus phenolharzgetränktem Papier auf Sperrholzplatten her. In den Bädern finden sich anstelle von Fliesen ein PU- Anstrich, den die Maler auf ein rissüberbrückendes Faservlies applizierten.

Fazit

Die geometrische Schlichtheit und die lagebedingten Blickbeziehungen waren für den Architekten das große Potential des Bestandes. Sein Entwurf unterstreicht diese formale Reduktion nachhaltig, etwa durch das Weglassen eines Dachüberstandes oder durch eine minimalistische Ausbildung der Regenrinne. Die großen Panoramafenster schaffen - unterstützt durch eine leicht erhöhte Gebäudelage - beeindruckte Perspektiven in das voralpine Umland.
Die Vergänglichkeit als langfristigen Gestaltungsansatz zu begreifen, verleiht dem Bau zusätzlich eine außergewöhnliche Qualität und begeisterte von Anfang an auch die Bauherren, ein Künstlerpaar. Der Architekt Degelo bezeichnet diese zeitlich bedingte Veränderung als „Fortsetzung des Bauens in der vierten Dimension“.
Robert Mehl, Aachen