Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Allianz-Arena
Typ:
Fußballstadion
Ort:
München [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Herzog & De Meuron 🔗, Basel
Materialien:
Beton, Stahl, ETFE-Kissen
Publiziert:
Beton + Fertigteiljahrbuch 2007
Seiten:
18 - 22
Inhalt:
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Allianz- Arena in München

Das Eckige muss ins Rund

 
Von außen sieht man keinen Beton. Letztendlich besitzt der Bau keine Fassade im klassischen Sinne. Vielmehr ist der Fußballtempel wie ein edles Geschenk umhüllt von Textil. Tatsächlich haben die Architekten ein Bild für die Spannung gefunden, die von dem Grün in der Mitte ausgeht: Sie visualisieren die gefühlte Hitze der Emotionen, den gespannten Atem der über 69.000 Zuschauer, welcher das Rund aufheizt und einen Überdruck im Innern des Hexenkessels erzeugt. Dieser drängt schließlich nach außen und bläht die weiß-schimmernde Hülle wie einen Fesselballon auf.
Aber auch die Realität ist nicht weniger atemberaubend. Das Gerippe der stählernen Unterkonstruktion ist mit rund 3.000 luftgefüllten ETFE- Kissen überzogen. Jedes dieser bis zu 16 m langen rautenförmigen Kissen ist mit einer der insgesamt zwölf Gebläseeinheiten verbunden, die den Fülldruck auf konstanten 3 Millibar halten. Ein permanenter Druckausgleich ist notwendig, um die bei näherer Betrachtung durchsichtigen Luftkissen, welche einen Stich von bis zu 1,50 haben, vor den Folgen einer übermäßigen Überhitzung und der damit verbundenen Luftausdehnung zu schützen.
Bemerkenswert ist auch der so scheinbar unmerkliche Übergang der Vertikalfassade in die Dachkonstruktion. Was von außen homogen erscheint, konnte statisch nur durch einen Wechsel der Unterkonstruktion erreicht werden. Während der Unterbau des Zuschauerrundes aus Ortbeton besteht, auf welchen die aus Betonfertigteilen erstellten Ränge aufgesetzt wurden, besteht das Dach aus einer Stahlrahmenkonstruktion mit einer parabelförmigen Geometrie. Heikel war der fugenlose Übergang vom schwingungsarmen starren Betonkern auf das starken dynamischen Lasten ausgesetzte Dach. Nachts werden die Kissen von innen erleuchtet, je nach Bedarf erstrahlen die pneumatischen Elemente in weiß, blau oder rot.
Konzipiert wurde der Bau als ein reines Fußballstadion im englischen Stil. Kennzeichnend ist die unmittelbare Nähe der Zuschauer zum Grün der Spielfläche. Das Rund verfügt gleichzeitig über die steilsten Oberränge Europas. So erscheint auch noch auf dem dritten und obersten Zuschauerring das Geschehen auf dem Feld zum Greifen nah. Die Sicherheit bleibt trotzdem das oberste Gebot. So gestatten die 15 außen liegenden Kaskadentreppen sowohl ein schnelles Wechseln zwischen den drei Ebenen, wie auch das sichere Verlassen der Anlage im Notfall. Ausgeführt aus Betonfertigteilelementen bestehen sie nicht nur aus dem eigentlichen Treppenlauf sondern auch aus einer schlauchartigen Betoneinhausung, die ihre Rauchfreiheit im Brandfall garantiert.
Die Tribünen selber, insbesondere die Stufenelemente, wurden ebenfalls als Betonfertigteile hergestellt. Dabei waren die Anforderungen an die Sichtbetonoberflächen aller Elemente insofern besonders hoch, als sie im direkten Blickfeld der Stadionbesucher liegen. Die Bestuhlung wurde unmittelbar an den Bauteilen montiert. Ein weiteres Erschwernis war die geringe Serialität der Tribünenteile aufgrund des runden Grundrisses und der dynamischen Höhenentwicklung des Bauwerkes. So weisen die Fertigteilelemente eine Vielzahl unterschiedlicher Winkel, Höhen und Gehrungen auf.
Die mit der Ausführung der Elemente beauftragte Firma Emil Hönninger GmbH aus Eglharting arbeitete aus diesem Grund eng mit den Schalungsplatten- Spezialisten der Firma Westag & Gestalit AG aus Rheda- Wiedenbrück zusammen. Sie entschieden sich bei den Schalungselementen, die Betoplan top Großflächenhaut einzusetzen. Das System besteht aus einem kunststoffbeschichteten Furniersperrholzkern mit einem integrierten Faservlies. Ein System, das gleichzeitig einen umlaufenden Kantenschutz garantiert. In Abhängigkeit von ihrer Verwendung im Ober-, Mittel- oder Unterrang wurden die Stufenelemente in fünf Grundgeometrien durch das Fertigteilwerk hergestellt. Trotzdem musste jeweils im Detail fast jedes Element individuell modifiziert werden. Im Mittel haben die Bauteile eine Größe von 7,5 m x 3 m und ein Gewicht von ca. 9 t.
Um eine möglichst hohe Gleichmäßigkeit der Oberfläche und um ungewollte Texturen und Farbschwankungen zu vermeiden, wurde ein besonderes Augenmerk auf die gleichmäßige Verteilung der Rüttler gelegt. In der Regel kamen neun Außenvibratoren zum Einsatz, deren Drehzahl individuell angesteuert werden konnte. Eingebracht wurde ein Beton der Konsistenzklasse K2 mit der Druckfestigkeit B 55. Er kam auch bei den eingangs erwähnten Kaskadentreppen, den so genannten Himmelsleitern, zum Einsatz.
Das Volumen hinter den Rängen ist in acht Ebenen aufgeteilt. Der Haupteingang, zu dem man über das promenadenartig gestaltete Dach der Tiefgarage, dem größten Parkhaus Europas, gelangt, liegt auf Ebene drei über dem Spielfeld. Er führt stufenlos auf die große umlaufende Promenade. Gleichzeitig teilt dieses Erschließungsgeschoss den Bau in eine darunter gelegene Sockelzone, welche mit dem Parkhaus zu einer Einheit verschmilzt, und dem signifikanten Rund darüber. So war es auch nicht notwendig, die textile Fassade über die komplette Innenraumhöhe von über 50 m zu führen, sondern nur über knapp 40 m. Die dahinterliegenden Geschosse werden getragen durch Schleuderbetonstützen der schweizerischen Firma Varinorm AG, welche im Schnitt 6 m hoch sind und einen Durchmesser von 65 cm aufweisen. Entsprechend des schüsselförmigen Volumens des Bauwerkes sind die Elemente von Ebene zu Ebene unterschiedlich nach außen geneigt. Dabei weicht die unterste Säulenstellung um etwa 25° aus dem Lot ab und erst der oberste Stützenkranz nimmt eine senkrechte Position ein.
Der ganze Bau ist eine Ode an die Dynamik. Starre Formen, rechte Winkel sind rar. Allein die vorgefertigten Ränge haben eine gewisse Kantigkeit bewahrt. Im Kontrast zu der bewegt-expressiven Außenhülle wirken diese Elemente wie ein ruhender Pol. Vielleicht ist das der Grund, dass diese Ränge trotz ihrer Größe eine humane Komponente bewahrt haben, die es erst ermöglicht, diesen faszinierenden Ort und das sportliche Schauspiel zu genießen.
Robert Mehl, Aachen