Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Kurfürstendamm 188
Typ:
Geschäftshaus
Ort:
Berlin [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Axthelm+Rolvien 🔗,Potsdem
Materialien:
Publiziert:
d + h 12/2016
Seiten:
16 - 21
Inhalt:
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Kurfürstendamm 188, Berlin

Dachstuhlsanierung in hochpreisiger Lage

Am Berliner Kurfürstendamm wurde einer der wenigen Dachstühle, die den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, zur Nutzung ausgebaut. Entsprechend sensibel war der Umgang mit, dem denkmalgeschützten Relikt, zumal dessen enges Strebewerk nie für eine Nutzung ausgelegt war.
Nennt man die exklusiven Geschäfte im Erdgeschoss der Hausnummer 188 des Kurfürstendamms - zum Beispiel Chanel -, weiß fast jeder Berliner, welches Haus gemeint ist, auch wenn er es im Zweifelsfall noch nie betreten hat. Die Adresse ist eine Art Landmarke im hektischen Großstadtgetriebe.
Es mag daran liegen, dass der 1908 errichtete, immer schon als attraktiv wahrgenommene Bau durch glückliche Zufälle den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überstand, weshalb in der Zeit des Wiederaufbaus relativ rasch hier wieder weltläufige Modemarken einzogen. Von Anbeginn an war das Walmdach mit dem stolzen Ecktürmchen pure Kulisse, das aber die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die hölzerne Unterkonstruktion war nebensächlich und entsprechendes Stückwerk.
Ringen um die richtige Erscheinung
„Das Ordnen des vorgefundenen Raumes hatte etwas von Mikadospielen", erinnert sich die Architektin Annette Axthelm, die zusammen mit ihrem Partner Henner Rolvien mit dem Ausbau des Daches beauftragt war. „Wir wollten den Dachstuhl auch im Innern erfahrbar halten, mit seinen zahllosen Streben und Stützen. Besonders heftig sah es in der Turmrotunde aus, die war total verbaut."
Die Architekten suchten lange nach einem befriedigenden Konzept, das bei allen Räumen funktionierte. Den Dachraum wollten die Planer eben nicht als eine rhythmische Abfolge von Gauben und Dachschrägen realisieren, sondern vielmehr das Volumen als solches mit seinem konstruktiven Charakter zeigen. Zudem war eine Dachgaubenlösung genauso wenig genehmigungsfähig wie reguläre Dachflächenfenster, weil sie nach Auffassung der Denkmalpflege das historische Erscheinungsbild dieses denkmalgeschützten Objektes zu stark verändert hätten. Problematisch waren für die Denkmalbehörde vor allem die hochspringenden Kanten und die Reflexionen des Glases, beides sollte von der Straße aus möglichst nicht wahrnehmbar sein; es galt die Dachfläche als solche zu erhalten. Allerdings sah man ein, dass für eine hochwertige Nutzung Räume natürlich zu belichten sind. Die Architekten entwickelten eine Lösung in Form einer Festverglasung, bei der die Scheiben mit einem grauen Muster bedruckt und exakt in der Dachflächenebene angebracht wurden. Dieses etwa drei Meter breite Scheibenband verläuft nun entlang der beiden Straßenfronten etwas oberhalb der Traufe.
Aufgedoppeltes Schieferdach
„Natürlich mussten wir zur Entwässerung dieser Fenster hinter die wasserführende Schicht der Dachschiefer gehen", erläutert der Bauleiter von Axthelm und Rolvien Architekten, Jörg Eberhardt, das Detail. „Dazu haben wir zunächst die gesamte Dachfläche aufgedoppelt." Auch die Denkmalpflege zeigte letztlich Verständnis dafür, dass es bei Erhaltung der Kubatur des Daches gilt, den Dachstuhl als solchen zu zeigen. Da der Dach¬ausbau natürlich der Energieeinsparverordnung EnEV 2014 entsprechen sollte, war eine Dämmung des bis dahin nicht isolierten Daches unvermeidlich. Der Kom¬promiss bestand darin, dass die Sparrenlagen vollstän¬dig gedämmt wurden und hinter Trockenbauflächen verschwanden. Die neue Schieferabdeckung weist eine Hinterlüftung von 10 cm auf. Sie wird durch eine Aufdopplung - einem neuen Hohlraum zwischen alter Sparrenlage und der neuen Schieferebene - erreicht. Deren Ventilation erfolgt mittels in regelmäßigen Abständen im Dach montierter Schieferlüfter. Verbaut wurden diese durch die Blank Dachdeckerei GmbH, die alle Dach¬decker- und Spenglerarbeiten, insbesondere die gesamte Schiefereindeckung, ausführte. Deren Vorarbeiter Dachdeckermeister Andreas Neumann erzählt, dass jede Schieferzeile mit einem herzförmigen Schlussstein endet, es sei das Markenzeichen und handwerkliche Signet des Betriebes.
Dachfenster tiefer gelegt
Die dachflächenbündige Festverglasung ist eine Eigenentwicklung der Architekten und wird in dieser Art von keinem großen Hersteller angeboten. Infolge der erforderlichen Drainage verspringt neben und unterhalb der Glasfläche die wasserführende Schicht um rund 5 cm. Das Regenwasser wird seitlich in einer dachintegrierten Rechteckrinne gesammelt und unterhalb der Scheiben beziehungsweise am unteren Rinnenende über eine im Verhältnis zur Waagerechten nur leicht geneigten Verblechung wieder auf die verschieferte Dachebene zurückgeführt. Konstruktiv möglich war dieses Detail überhaupt nur durch ein verhältnismäßig steiles Dach.
„Es ist ja kein Industrieprodukt und es war sehr schwierig jemanden zu finden, der einem so was baut", kom¬mentiert Bauleiter Jörg Eberhardt dieses Bauteil. Fündig wurde das Planungsbüro im westfälischen Herzebrock- Clarholz bei der Norbert Obst GmbH, welche die Sonderkonstruktion quasi als Einzelstücke anfertig¬te. Es galt jede Fensteraussparung einzeln aufzumessen und die Werkstücke entsprechend zu produzieren. Danach fuhren die Monteure erneut nach Berlin, um die Elemente vorzumontieren und anzupassen. Anschließend ging es ins Werk zurück, alles wurde sauber lackiert, um es schließlich endgültig einzubauen. „Das war schon sehr aufwendig", resümiert Jörg Eberhardt.
Die Rohprofile wie die Glasscheiben hat das mittelständische Unternehmen natürlich zugekauft, doch das Kanten der Bleche sowie das Dämmen der Elemente mit Polyurethan- Hartschaum wurden im eigentlich auf individuelle Türfüllungen spezialisierten Werk vorgenommen.
Schmuckgiebel und Glasgauben
Das Haus weist jeweils einen Schmuckgiebel zum Kurfürstendamm und zur kreuzenden Schlüterstraße auf. Die unmittelbar daran anschließenden, gaubenartigen Dachflächen werden durch die vorstehenden Mauerscheiben fast vollständig verdeckt und durften als Glasdach ausgeführt werden. Im dazugehörigen First waren die quasi freistehenden Giebelwände mit Zugstangen zu sichern.
Für den rückwärtigen Bereich, zum Innenhof hin, akzeptierte die Denkmalbehörde Gauben, deren Wangen in Glas ausgeführt sind. So verliehen ihnen die Architekten einen ausgesprochen kubischen und modernen Charakter. Gerne hätten Annette Axthelm und Henner Rolvien diese mit einer gläsernen Horizontalfläche abgeschlossen, doch ist dies formaljuristisch bei Mietobjekten wegen eines zu hohen Wärmeeintrags nicht zulässig.
Rotunde und Laterne
Der erwähnte repräsentative, jedoch ansonsten ungenutzte Eckturm besteht aus einer verbleiten, zwiebelturmartigen Rotunde und, darauf aufgesetzt, einem Kegeldach, das von einer Laterne gekrönt wird. Sein Inneres war durch zahllose Streben und Stützen regelrecht verbarrikadiert, so dass dessen Nutzung unter Erhalt der Konstruktion undenkbar war. Die Architekten einigten sich mit der Denkmalpflege auf den Kompromiss, im Bereich der Rotunde das alte Strebewerk zu entfernen und durch einen ring¬förmigen Stahlanker zu ersetzen. Erhalten bleiben sollte die verwirrende Unterkonstruktion hingegen oberhalb davon, im Bereich des Kegeldachs und der Laterne. Die Belichtung des künftigen Besprechungsraums erfolgt über auffallend kleine Fenster: Deren Größe wurde von den einstigen Dachausstiegen abgeleitet, aber nunmehr in jeder Teilfläche der nach außen polygonalen Rotunde eingefügt und natürlich in Glas ausgeführt.
Ertüchtigung durch Holz- Beton- Verbund- Decke
Um das Dach überhaupt aus¬bauen zu können, insbesondere um neu auftretende De¬ckenlasten sicher in das tragende Mauerwerk einzuleiten, musste der Dachboden - eine übliche Holz- Balken- Decke - ertüchtigt werden. Die Architekten wählten dazu eine Holz- Beton- Verbund- Konstruktion (HBV- System) der Elascon GmbH.
Die HBV- Konstruktion der sanierten Decke besteht aus mehr als 40000 speziellen Schub- Verbindern, die im 45°-Winkel, jeweils zum Auflager hin geneigt, in die bestehenden Decken- Balken von oben eingeschraubt wurden. Zuvor wurde auf den alten Fehlboden im Gefach- Bereich eine druckfeste Dämmung verlegt, welche oberkantenbündig am Balken abschloss. Anschließend wurde die gesamte HBV- Fläche mit einer transparenten Abdichtfolie bedeckt, wobei diese an aufgehenden Wänden wannenförmig hochzogen wurde. Das ausführende HBV- Unternehmen, die Elascon GmbH, vergoss mittels Pump- Beton die gesamte HBV- Fläche schließlich mit einer 8 cm starken Schicht aus nahezu selbst-verdichtendem und -nivellierendem Beton, wobei überdies die Beton- Platte mit einer konstruktiven Bewehrung in Form von Stabstahl (Durchmesser 8 mm, Abstand 20 cm) in beide Richtungen, und zusätzlichen Zulage- Bügeln bewehrt wurde. Die Tragfähigkeit der so sanierten HBV- Decke wurde damit verdreifacht und das Dachgeschoss brandschutztechnisch effektiv vom Geschoss darunter getrennt. In bestimmten Bereichen war es darüber hinaus erforderlich, die ohnehin gesteigerte Deckentragkraft noch einmal mit zusätzlich integrierten Stahlträgern zu erhöhen. Diese zusätzlichen Stahlprofile wurden über so genannte Nelson- Kopfbolzen kraftschlüssig in die Holz- Beton- Verbund- Decke eingebunden. Dazu wurden Kopfbolzen vom Typ „Elascon CT 12/40" in die Stahlprofile mittels eines speziellen Schussgerätes eingeschossen. Bei diesem Verfahren entsteht im Bereich der jeweiligen Einschusskanäle der Munition durch die schlagartig freiwerdende Energie eine sehr hohe, punktuelle Hitze, mittels der die Kopfbolzen quasi mit den Stahlträgern verschweißt werden. Der Vorgang wird als Reibschweißen bezeichnet und kann im Gegensatz zu herkömmlichen Schweißverfahren auch in einem leicht entflammbaren Umfeld ausgeführt werden.
Verstärktes Strebewerk
Die neuen Lasten erforderten nicht nur eine Verstär¬kung des Dachgeschossbodens, sondern auch die des eigentlichen Holzdachstuhls. Hier war es zulässig, alle erforderlichen Pfosten mit seitlich daran angesetzten Rechteckprofilen und die entsprechenden Pfetten mit Doppel- T- Trägern zu ertüchtigen.
Schließlich überstrich der Maler Holz und Stahlflä¬chen einheitlich in Grau, so dass der materielle Un¬terschied nur bei bewusstem Hinsehen erkennbar ist.
„Ein technisches Ding"
Annette Axthelm ist froh, dass sich der Bauherr, ein Frankfurter Immobilienunternehmen, auf dieses „technische Ding" in einer derart hochpreisigen Lage eingelassen hat, denn anders wäre eine Umsetzung im Einklang mit der Denkmalbehörde kaum möglich gewesen. Konstruktiv ist das neue Dachgeschoss für zwei unterschiedliche Parteien ausgelegt, es gibt zwei Eingänge, zwei Sanitärkerne und zwei getrennte Haustechniksysteme. Aber der künftige Nutzer, eine größere Anwaltskanzlei, war derart angetan von der Lösung, dass man gleich beide Hälften anmietete. Dies nutzten die Planer zum Vorteil der Räume und ver¬zichteten auf die trennende Leichtbauwand: Das alte Dachvolumen ist nunmehr sehr präsent!
Robert Mehl, Aachen